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Der Chef empfiehlt: Best of «Literarischer Monat»

Zu seinem Abschied präsentiert unser langjähriger Chefredaktor Michael Wiederstein seine Top 10 aus 37 Ausgaben. Äh, seine Top 13.

Der Chef empfiehlt: Best of «Literarischer Monat»

 

Fast zehn Jahre war Michael Wiederstein Kulturredaktor in dieser Redaktion. Er war es, der 2011 die einigermassen verrückte Idee hatte, eine eigenständige Literaturzeitschrift aus dem «Schweizer Monat» auszugliedern. Dass sein Weggang in diesem Sommer eine enorme Lücke hinterlässt, ist offensichtlich. Zum Abschied baten wir Michael, eine Top-Ten-Liste aus 37 Ausgaben «Literarischer Monat» zusammenzustellen: fünf seiner eigenen Artikel und fünf weitere Lieblingsstücke. Gar nicht so einfach – und so wurden es am Ende eben Top 13.

1. «Heimatvernichtung»

Tunnelmief und Bergidyll, schwaches Glied und Männlichkeit: Hermann Burger spülte die Schweizer Nationalmythen schon 1982 mit sichtlichem Vergnügen die Reuss hinunter – und schuf mit der «Künstlichen Mutter» den bis dato humorigsten literarischen Höllentrip ins Herz der Eidgenossenschaft.

https://literarischermonat.ch/heimatvernichtung/

Kommentar von Michael Wiederstein:
Mich hat immer fasziniert, dass ein Typ wie Hermann Burger in der Schweiz entstehen konnte. So schön unschweizerisch überdreht, auch viel unangepasster als Frisch oder Dürrenmatt. Burger hat seine Einzigartigkeit bewahrt – ist dann aber natürlich auch daran gescheitert. Dennoch: ein leuchtendes Beispiel, wie man Literatur auch leben kann. Und vor allem: ein Vergnügen zu lesen!

2. «Das Salatorium von Ascona»

Glauben Sie, dass die Qualität Ihrer Luft, Ihres Lichts und Ihrer Ernährung einmal besser war? Würden Sie zur Kur zeitweilig in eine unbeheizte Holzhütte ziehen und sich ausschliesslich mit Wasser und Gemüse verpflegen? Liessen Sie sich sogar freiwillig zu täglich mehrstündiger Gartenarbeit im Leinenleibchen verdonnern? Und würden Sie für diese Schikane auch noch horrende Summen zahlen?

https://literarischermonat.ch/das-salatorium-von-ascona/

Kommentar von Michael Wiederstein:
Die Geschichte des Monte Verità hat mich immer fasziniert: Kunst, Philosophie und skurrilstes Aussenseitertum an einem Ort, eine Gegenwelt und wie sie gescheitert ist. Ein geografisch völlig unbedeutendes Nest, Ascona, das doch offensichtlich für viele bedeutende Köpfe eine enorme Anziehungskraft besass. Ascona ist ja eigentlich ein deutscher Erinnerungsort – nur dass er nicht in Deutschland liegt, sondern eben im Tessin.

3. Cold War Kids – Rezension zu Urs Zürchers «Der Innerschweizer»

https://literarischermonat.ch/cold-war-kids/

Kommentar von Michael Wiederstein:
Eine Rezension in den Top 10 aus achteinhalb Jahren? – Aber sicher! Die Entdeckung, dass es Urs Zürcher und den «Innerschweizer» gibt, war vielleicht die schönste in meinen insgesamt sogar fast zehn Jahren bei diesem Verlag: Ein Wälzer, der sich wie eine Novelle liest – so intelligent, dass es für viele grössere Verlage offenbar abschreckend war. Doppelt schön, dass das Buch beim kleinen, aber feinen Bilgerverlag herausgekommen ist. Verlage und Autoren, die etwas wagen, muss man zeigen und hervorheben. Auf der ständigen Suche nach dem nächsten Grossschriftsteller fallen zu viele grössere Häuser auf Leute herein, die populäre Meinungen möglichst laut vertreten, während diejenigen, die sich künstlerisch an grosse Themen wagen, übersehen werden. Ebenso lesenswert: Zürchers Essay über die Sprache des Zorns https://literarischermonat.ch/die-sprache-des-zorns – und Zürchers zweiter, erneut weitgehend übersehener Roman «Alberts Verlust». https://literarischermonat.ch/urs-zuercher-alberts-verlust/

4. Die versteckte Expertokratie

Ökonomie und Literatur: der Philosoph und Schriftsteller Jonas Lüscher über gefährliche Geschichten, den irritierenden Zahlenkult in Wirtschaft und Gesellschaft – und über Tiefkühlprodukte von erschütternder Sinnlosigkeit.

https://literarischermonat.ch/die-versteckte-expertokratie/

Kommentar von Michael Wiederstein:
Auch Jonas Lüscher beweist, dass Schriftsteller – ja, auch solche aus der Schweiz! – nicht daran scheitern müssen, grosse Themen intelligent in Literatur zu packen, ganz besonders ist ihm dies in «Frühling der Barbaren» (Link: https://literarischermonat.ch/herr-der-fliegen/) gelungen. Ich habe an Lüscher zudem immer geschätzt, dass er auch bereit war, Rede und Antwort zu stehen: offen, intelligent, wertschätzend, ohne jeden Schriftstellerdünkel. So ergeben sich ganz nebenbei auch bessere Interviews.

5. Christian Kracht: Der Rivellatrinker

Eine Begegnung mit Schriftsteller Christian Kracht kann so ziemlich alles sein. Diesmal war es zuerst eine Flucht, dann ein bibliophiler Ausflug nach Nepal und schliesslich ein Gespräch über die Hoffnung darauf, dass Ascona bald um eine Skurrilität reicher ist.

https://literarischermonat.ch/der-rivellatrinker/

Manchmal macht das richtige Paar Schuhe den Unterschied: In einer Zeit, in der sich Christian Kracht allen Presseterminen verweigerte und sich auch an den Solothurner Literaturtagen, wo ich ihn traf, sichtlich unwohl fühlte im Blitzlicht übergriffiger Fotografen, ergab sich aus Krachts Lob für meine «Desert Boots» ein langes, überraschendes Gespräch.
Schliesslich stellte Kracht dem «Literarischen Monat» sogar ein (damals) exklusives zusätzliches Kapitel seines Romans «Imperium» zur Verfügung.

Kurzum: Vielleicht die verrückteste Begegnung, die in diesem Literaturbetrieb möglich ist – für mich, der von der Person Kracht und seiner Literatur ohnehin gleichermassen beeindruckt und folglich nicht ganz unvoreingenommen war, ganz sicher.

6. Timon Karl Kaleyta: Wie ich mal fast Popmusiker geworden wäre und dabei vorübergehend verarmte

«Die folgenden Aufzeichnungen sind ausnahmslos wahr.»

https://literarischermonat.ch/wie-ich-mal-fast-popmusiker-geworden-waere/

Kommentar von Michael Wiederstein:
Timon Karl Kaleyta habe ich im Klagenfurt-Zirkus kennen- und als einen der wenigen Journalisten, die mit mir häufig einer Meinung waren, schätzen gelernt. Als Journalist ein Ausnahmetalent, der im Auftrag der FAS und anderen u.a. beste Werbung für die fast ausgestorbene Profession des klassischen Reporters verkörpert: Er reist irgendwohin, die Redaktion vertraut ihm, Kaleyta liefert. Fast immer gelingt es ihm, aus wenig Fantastisches zu machen. So auch in diesem Text.

7. Eckart Nickel: Der Reporter stirbt für sich allein

Gedanken zu Wesen und Habitus des Reporters.

https://literarischermonat.ch/der-reporter-stirbt-fuer-sich-allein/

Noch etwas zum Bild des Reporters und den Grenzbereichen zwischen Journalismus und Literatur. Einfach ein toller, sehr Eckart-Nickel-hafter Text eines Autors, den ich sehr schätze (und 2017 zum Bachmannwettbewerb eingeladen habe).

8. Regina Dürig: Das Alberne, Schöne und Traurige dazwischen

Der Weg von der ersten emotionalen Eruption in Textform bis zum begeisterten Verleger ist lang. Nachwuchsautorin Regina Dürig hat ihn gerade hinter sich. Ein Gedankenaustausch über Mut, Melancholie und das Meer.

https://literarischermonat.ch/das-alberne-schoene-und-traurige-dazwischen/

Kommentar von Michael Wiederstein:
Die allererste Geschichte, die ich für den LITERARISCHEN MONAT gemacht habe. Und sicher nicht die schlechteste. Passend dazu erschien auch in «meiner» letzten Ausgabe ein sehr schöner Text von Regina, die längst keine «Nachwuchsautorin» mehr ist.

9. Claire Plassard: Snobs im poetischen Prekariat

Wer Gedichte schreibt, marginalisiert sich? Ach was! Über Vorurteile, verblassende Zeilen und das, was wirklich zählt: Leidenschaft.

https://literarischermonat.ch/snobs-im-poetischen-prekariat/

Kommentar von Michael Wiederstein:
Unentdeckte Stimmen zu finden ist eine zentrale Aufgabe von Literaturzeitschriften. Das Beispiel von Claire Plassard zeigt: Wenn man an den richtigen Stellen fragt, stösst man auf solche Leute. Sie war eine Empfehlung von Florian Vetsch auf meine Frage nach Lyriktalenten, beeindruckte mich durch ihre harte und beharrliche Textarbeit und schrieb in der Folge mehrmals für den «Monat». Diese Textarbeit steht auch für ein intimes Kennenlernen zwischen Autorin und Redaktor durch die gemeinsame Arbeit am künstlerischen Schaffen –teilweise ohne dass man sich je persönlich begegnet ist.

10. Pablo Haller: Hungerbühler und die Tote vom Strand

Eine Erzählung.

https://literarischermonat.ch/hungerbuehler-die-tote-vom-strand/

Kommentar von Michael Wiederstein:
Ich habe ein Herz für Solitäre, und Pablo Haller ist einer der wenigen, die es in der Schweizer Szene gibt (auch wenn er längst, etwa in Solothurn, bestens «eingemeindet» ist). Seinem Schaffensdrang entspringt ein rohes, unterhaltsames, geistreiches und eben: unabhängiges Schreiben. Er fasst Themen und eine Sprache an, die für andere «anrüchig» sind, nicht zum guten Ton gehören. Passend, dass er diese herrliche Inselgeschichte für unseren «Trash»-Schwerpunkt im März 2018 schrieb.

11. Cynan Jones: Am Rande des Schwarms

Kurzgeschichte.

https://schweizermonat.ch/am-rande-des-schwarms/

Kommentar von Michael Wiederstein:
Richtig, diese Kurzgeschichte ist nicht im «Literarischen Monat», sondern im «Schweizer Monat» erschienen. Aber während ersterer «nur» quartalsweise erscheint und sich vor allem auf das schweizerische Schaffen konzentriert, bietet der «Schweizer Monat» monatlich eine der wenigen deutschsprachigen Plattformen für die von mir sehr geschätzte kurze Form – oft konnten wir diesen Platz mit jenseits des Teichs gefeierten Texten besetzen. Schmerzhaft einerseits, dass diese angelsächsische Tradition des Geschichtenerzählens hierzulande kaum eine Entsprechung findet. Für unseren Kleinverlag aber umso schöner, so starke Autoren für uns gewinnen zu können.

12. Adam Johnson: Dark Meadow

Kurzgeschichte.

Kommentar von Michael Wiederstein:
In dieser Geschichte geht es um einen Mann, der sich Kinderpornografie ansieht – und: Sie ist eine der besten, die wir je gedruckt haben. Auch «Dark Meadow» erschien auf Deutsch zuerst bei uns: eigentlich ein Armutszeugnis für viele «grössere» Adressen. Aber wir habenʼs gern gemacht. Der «Monat»: für einen Beitrag zur qualitätsorientierten interkulturellen Verständigung immer zu haben.

13. Nora Gomringer: Das lyrische Ich

«Unzugänglich, schwer und manchmal mühsam» – die Lyrik hat einen schweren Stand. Zu Unrecht, findet Nora Gomringer. Das Gesicht der neuen Poetengeneration über Sprache, Sprachen und Sprachlosigkeit.

https://literarischermonat.ch/das-lyrische-ich/

Kommentar von Michael Wiederstein:
Zu sagen, ich hätte eine Abneigung gegenüber Gedichten, ist zwar übertrieben – aber nur leicht. Im Gespräch mit Nora Gomringer aber bekamen die oft etwas blutleeren Argumentationen für die Lyrik und ihre Stärkung plötzlich eine Dringlichkeit und Überzeugung, die auch mich erreicht hat.

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