Bern–Wien–Tirana:
6 Stunden, 30 Minuten
Eigenartig, die Vorstellung, nach Wien zu fliegen, nur um dort ein weiteres Flugzeug nach Tirana zu besteigen. So funktionieren Reisen, wenn man auf das Geld achtet, wobei die Frage, ob es immer richtig ist, auf das Geld zu achten, mitreist. Man sollte nicht immer fliegen, sagt mir meine Seele. Ich kaue an einem trockenen Fluggesellschaftssandwich und lese Gedichte. Hier ist das wahre Fliegen – und umweltfreundlicher ist es auch noch.
«hinaus – und in den tag gegangen, unumwunden / durch die tür, direkt hinein ins lautgemenge, / ins taumelnde licht voller sprache / und klang. Atemzwang (auf schritt und tritt)»
Ich sehe ganz genau, wo die Notausgänge wären, verstehe, wie man die Schwimmweste anziehen müsste. Unbekannt verzogen von Levin Westermann leistet mir die unverkrampftere Überlebenshilfe. Dann, ganz bald: Wolken, Berge, Strassen.
Die Wartehallen im Wiener Flughafen erzeugen kein Gefühl von Stadt, obwohl schon im Flugzeug der obligate Walzer klang. Bazum, bazum. Es ist besser, Heimat im Buch zu suchen – und nicht über die Passanten nachzudenken, über ihr Wohin und Woher. Aber: weshalb nistet sich immer Eile ein an solchen Orten, auch wenn man warten muss?
«durch einen riss in deiner haut / ist ferne in dich eingetreten. Du öffnest deine augen. / und du stehst allein, abseits der dinge (…)» Wieder ein Kapitän, der spricht, wieder Überlebensvorschriften und Triebwerke und Landschaft, die sich ausbreitet. Da unten ist Leben, ist Alltag, denkst du. Im Flugzeug hält man dir einen Pappbecher vor die Augen. Darf ich Wein? May I?
Einige Passagiere sprechen die moderne Form meiner Urmuttersprache. Mein altes Albanisch fühlt sich einsam an. An einer Lesung in der Schweiz schlug mir einmal jemand vor, wir sollten uns als Unesco-Weltkulturerbe eintragen lassen.
«Im flur liegt eine kalte spur aus stille / und an die nase dringt ein hauch von unbekannt verzogen.» In Tirana löst meine Sprache ein Piepsen aus. Ich werde betastet und genau angeschaut. Draussen wartet eine Frau mit meinem Namen. Shantala, sagt sie.
«ferner: gelärm, dasein, / winddurchweht. Fragmente einer sprache, / halb so alt wie du.»