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Michael Fehr: «Glanz und Schatten»

Michael Fehr:
«Glanz und Schatten»

 

Seine vom Whiskey geschliffene Stimme erinnert an Tom Waits. Seine Texte spielen nach den Regeln der Musik. Den Rhythmus hat er im Blut und drei hochkarätige Musiker begleiten ihn auf der Bühne. Das sind beste Voraussetzungen für eine gute Bühnenshow. Michael Fehr aber ist nicht Sänger, sondern Literat. Und das mit Leib und Seele. Nach «Kurz vor der Erlösung» und «Simeliberg» legt der 34-Jährige mit «Glanz und Schatten» sein drittes literarisches Werk vor. Darin versammelt er auf knapp 140 Seiten achtzehn Erzählungen, die Phantastisches und Alltägliches, Absurdes und Vertrautes vermischen.

In dem hübsch gestalteten Büchlein kommt Fehr ohne Punkt und Komma aus. Gänzlich ohne Satzzeichen ergiessen sich die unterschiedlich langen Texte fast rauschartig über die Leserinnen. Wie in Trance wiederholt Fehr immer wieder Sätze und Passagen, wodurch ein markanter Rhythmus entsteht: «wie glücklich ich bin / hört hin / hört hin / wie glücklich ich bin / mir ist nichts geschehen / mir ist nichts geschehen». Seine Sprache orientiert sich an der Mündlichkeit. Zwischen die hochdeutschen Sätze sprenkelt Fehr schweizerdeutsche Worte: «und glühe gelb und glühe weiss / bis es klepft und tätscht und mir das Herz explodiert». So entstehen lyrische Erzählungen, die Fehr mit dramatischen Elementen anreichert. Diese Dramatik spürt man vor allem in den rohen, fast groben Bildern, die es Fehr angetan haben. Beispielsweise, wenn er in «Der Andere, ich und der alte Mann» davon erzählt, wie drei Männer mit Messern aufeinander losgehen. Auch Vegetariern könnte der eine oder andere Text schwer auf dem Magen liegen. In der Erzählung «Ein Rebhuhn auseinandernehmen» geht es unschön zu und her: «und dann sticht man ihm von beiden Seiten die Augen aus / mit ein wenig Übung kommen sie ganz ring heraus / siehst du» – betroffen legt man das Buch zur Seite, nur um es gleich wieder zur Hand zu nehmen. Manche mögen es grausam nennen, andere werden entzückt sein von der Rauheit der Erzählung, die sich auch in die Sprache gräbt.

Fehr kann aber auch anders: Mit märchenhaft-sanftem Ton erzählt er beispielsweise von der «Königin im Wald» oder der Säbelzahnkatze. Mit diesen an Fabeln erinnernden Geschichten beglückt Fehr das Kind in uns. Wundersam sind seine Texte, melancholisch, komisch, lebensnah. Diese Mischung macht «Glanz und Schatten» zum literarischen Ohrenschmaus, den es sich ganz besonders auch live vorgetragen zu sehen lohnt. Denn im stillen Kämmerchen gelesen, sind Fehrs Texte zeitweise etwas schwerer verdaulich, man muss tief Luft holen und sich der Leseerfahrung ganz alleine stellen. Doch wenn er seine Passagen von Musik untermalt auf die Bühne bringt, verbinden sich Unbehagen und Bewunderung zum literarischen Erlebnis der ganz besonderen Art.

Michael Fehr: Glanz und Schatten. Luzern: Der gesunde Menschenversand, 2017.

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