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Im Geschwindigkeitsrausch der Berge

An vielem ist Reinhold Messner schuld, dieser bärtige Superlativ, Bergfresser und grandiose Geschichtenerzähler unter den virtuosen Egomanen der Abenteuerwelt. Wie eine Urgewalt ist er über die Bergsteiger hereingebrochen. Hat nach zahllosen Erstbegehungen das Rennen um die 14 Achttausender für sich entschieden, nur um gleich wieder zu ihnen zurückzukehren, um zeternden Experten zu beweisen, dass allesamt […]

Im Geschwindigkeitsrausch der Berge

An vielem ist Reinhold Messner schuld, dieser bärtige Superlativ, Bergfresser und grandiose Geschichtenerzähler unter den virtuosen Egomanen der Abenteuerwelt. Wie eine Urgewalt ist er über die Bergsteiger hereingebrochen. Hat nach zahllosen Erstbegehungen das Rennen um die 14 Achttausender für sich entschieden, nur um gleich wieder zu ihnen zurückzukehren, um zeternden Experten zu beweisen, dass allesamt auch ohne künstlichen Sauerstoff menschen-, zumindest Messner-möglich sind. Damit war die Ära der Gipfelstürmer mit Getöse beendet, nach oben liess der Planet keine Steigerung mehr zu. Im Alleingang hatte Messner nicht nur die eigene Bergsteigergeneration paralysiert – bis heute zwingt er die Berufsalpinisten zur Phantasie. Denn seitdem reicht ein Gipfelerfolg höchstens noch für Unsterblichkeit im örtlichen Klettershop. Alpinisten, die vom Bergsteigen – also von den Medien – leben wollen, müssen sich etwas einfallen lassen. Und da herrscht akute Absturzgefahr.

Erstes prominentes Opfer war wohl Hans Kammerlander. Bekannt als Bergkamerad Messners, brachte er sich nach dessen Achttausender-Rekord mit einer Nonstop-Begehung aller vier Grate des Matterhorns in die Medien. Beeindruckend – leider fehlte dieser Turnerei jede Poesie. Er scheiterte an der neuen Herausforderung. Selbst Reinhold Messner musste sich die Frage stellen: «Was kommt nach Reinhold Messner?» Doch während dieser die Welt mit grossen Abenteuergeschichten belieferte, etwa über den Yeti, Gewaltmärsche durch die Eis- und Sandwüsten und das geheimnisvoll-authentische Bergsteigerdrama um seinen verstorbenen Bruder, fuhr Kammerlander auf Skiern vom Everest ab. Ein verzweifelter Versuch, den Achttausendern ein letztes medienwirksames Schaustück abzuringen. Erreicht hatte er damit vor allem eines: Der Reigen der Kuriositäten war eröffnet. Seither hat den Everest ein Blinder erstiegen, ein Paraglider, ein Einbeiniger, ein Snowboarder, ein 13jähriges Kind und demnächst wird ihn wohl jemand rückwärts hochgehen. Die Bergwelt wird heimgesucht von zwanghafter Originalität. «Ich lebe von den Abfallprodukten meiner Bergtouren», hat Messner schon 1977 in die Kamera Werner Herzogs gesagt. Ich glaube nicht, dass er ahnte, wie viele Abfallprodukte dermaleinst den Bergsteigern einfallen würden.

Und jetzt «Speed»! Und jetzt eine grosse Überraschung. Ueli Stecks Buch über das Hochjoggen der grossen Nordwände entspricht den Befürchtungen in keiner Weise. Was daherkommt wie ein weiterer Sensationseffekt, ist die atemberaubende Verdichtung einer bis anhin irrlichternden Bergsteigerkarriere. «Speed» entpuppt sich als die nachträglich logische Verbindung seiner bisherigen Höhepunkte am Eiger und als Free-Solo-Kletterer. Noch spannender aber: die Fähigkeit, technische Schwierigkeiten mit Hochgeschwindigkeit zu kombinieren, eröffnet den Himalaja noch einmal ganz neu. Kann sein, dass Steck damit für den nächsten Entwicklungssprung im Alpinismus sorgen wird. Doch erst einmal dieser schlanke, schöne, blitzblanke Bericht aus den Alpen. Kein Bergsteigerkitsch stört die elegante Linie, in der uns Ueli Steck die Nordwände hochführt. In kurzen überlegten Sätzen nimmt er uns mit über die Schlüsselstellen. Dazwischen Gespräche mit Leuten, die dazu wirklich etwas zu sagen haben: Bonatti, Profit und natürlich Messner. Wie die beiden sich die Routendetails und weltweite Klettergeschichte um die Ohren hauen, ist ein Hochgenuss. Obwohl «Speed» sein grosses Stück Berg-Pop ist, widersteht Steck der Versuchung, die übliche Anekdotensammlung fürs SI-Publikum abzuliefern. Zusammen mit der Autorin Karin Steinbach ist ein Thriller für Profis entstanden. Dass gerade dies so gut ankommt, ist Stecks Clou. Mit extremer Genauigkeit werden die versteckten Griffe beschrieben, die abschüssigen Tritte und Eisverhältnisse, spannungsgeladen die Stunden im Zelt, minu­tiös die Vorbereitung vermittelt, bis zur Wahl der perfekten Handschuhe. Dies in einer Sprache, die so austariert ist wie sein Kohlenhydrateplan. Steck trainiert nach Analysen des Bundesamts für Sport und holt einen langen Anlauf. Präzise nehmen sie die Extreme ausei­nander, bis kein Abenteuer mehr übrig bleibt. Mit Ueli Steck macht sich der Athlet in die Bergwelt auf. Und vielleicht lesen wir in «Speed», wie gerade wieder eine Ära zu Ende geht.

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