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Matthias Zschokke: «Die Wolken waren gross und weiss und zogen da oben hin»

Matthias Zschokke:
«Die Wolken waren gross und weiss und zogen da oben hin»

 

Gestern, als der Boden noch frisch war und feucht, lebte in Berlin ein Mann, der sich – in der Hoffnung, mit diesem Namen Erfolg zu haben und glücklich zu werden – Roman nannte.» In diesem für ihn typischen Ton beginnt Matthias Zschokkes neues Buch. Wie schon bei «Die strengen Frauen von Rosa Salva» ist die Erklärung des Titels tief im Innern des Textes verborgen und denjenigen Lesern vorbehalten, die sich zu ihr durcharbeiten.

Roman (notabene: es steckt viel Matthias darin), ein nicht mehr ganz junger, durchaus erfolgreich gewesener Schriftsteller mit wenigen sozialen Kontakten und vielen ebenso ab- wie eingefahrenen Gewohnheiten, der zu Fuss oder per Rad durch Berlin streift, ist ein Suchender: «Du / der du suchst / im Abendlicht / das Glück.» Was aber findet er? Nur Alltägliches, Banales, Unscheinbares – einerlei, ob an Dingen oder im Verhalten der Menschen, die er dafür verachtet, sich selbst eingeschlossen. Liegt es daran, dass er «gewöhnt daran war, zu Boden zu blicken»? Die Wolken (sic!) beachtet er nie. Geprägt sind seine Beobachtungen von einer melancholiegetränkten Gleichgültigkeit, die hart an der Grenze zur Apathie angesiedelt ist. Zu allem Überfluss hat es Roman noch mit einigen Lebensmüden zu tun: seiner Mutter, seinem Freund B. Konsequenz: «Egal, worüber er nachdachte, er endete immer im Zweifel.»

Dass der Leser ihm dabei gerne folgt, liegt einerseits am hohen Wiedererkennungswert der beschriebenen Verhaltensweisen (seien es joggende Rentner, denen Roman auf seiner allmorgendlichen Runde begegnet, oder Nachbarn, die einander im Treppenhaus ausweichen), zum anderen daran, dass Zschokke bei allem Ernst immer mit einem offensiven Augenzwinkern erzählt.

Diese literarische Selbstreflexion wird personal erzählt, die eingestreuten Briefe und E-Mails (eine weitere Zschokke-Spezialität) stehen dagegen in der Ich-Form. Ab und an gibt sich aber auch ein allwissender Erzähler zu erkennen, und zwar ganz klassisch durch «Wir»-Einmischungen und Kommentare, darunter auch solche zum Handwerklichen: «Die Langeweile in den Augen des Gegenübers besonders tief und schwarz zu gähnen anfangen zu sehen (dieser Satz ist mir nicht geheuer; grammatikalisch wahrscheinlich falsch).» Welch Freude in Zeiten schwindender sprachlicher Sensibilität!

Der Roman mündet in ein nie aufgeführtes Theaterstück, in dessen Szenen Gedanken über zerbrechende Freundschaften, die Langeweile oder das Lebensende wieder aufgegriffen werden – vorgetragen im Konjunktiv, als Fiktion-in-der-Fiktion gewissermassen. Zschokke ist und bleibt ein Literatur-Taschenspieler, der viele Tricks beherrscht. Sollte man aber deshalb lesen? Ja. Denn wer um diesen Umstand weiss und sich auf das Zschokkeʼsche Narrativ mit all seiner zur Schau gestellten Unbill des Schriftstellerdaseins einlässt, für den ist dieses Buch nicht bloss intellektueller Spass, sondern auch ein Lesevergnügen ersten Ranges.

Matthias Zschokke: Die Wolken waren gross und weiss und zogen da oben hin. Göttingen: Wallstein, 2016.

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