Martin R. Dean:
«Falsches Quartett»
Das ist die Zentrale dieses Romans, die Sinnfrage ans Leben, das stets beschädigt daherkommt und tote Seelen, zeitgenössische Zombies erzeugt – auch und gerade in den Schulen. Etwas Abgründiges transportiert dieser Roman, an den Rändern der blinden Normalität beginnt es zu fransen, überall durchkreuzen glotzende oder tote Tiere die menschliche Perspektive. Man wird das Gefühl nicht los: etwas kommt mit dem Lauf der Moderne nicht mit, trotz aller Propädeutik auf das Leben. Die sich als Porträtistin etablierende Lisa sieht deshalb bald nur noch weisse Flächen statt Gesichter. Kaum etwas könnte unsere Verhältnisse, in der die Serie, auch in der Kunst, über das Individuierte, also das Gesicht schlechthin, überhand gewinnt, trefflicher abbilden. Wenn Dean also von einem gewünschten «Paradigmenwechsel in der Kultur» spricht, wie er es anlässlich der Vernissage im Literaturhaus Basel tat, dann auch, weil wir einer Kultur der ständigen Reproduktion anheimgefallen sind. Und diese steckt nicht nur die Bilder und Dinge, sondern auch den Umgang mit dem Menschenpark an. Aber es gibt auch ein Licht am Ende dieses Tunnels: denn jenseits des von Schuld geplagten Deanschen Quartetts liegt oder läge das Rettende in der bilderlosen Achtung des Individuierten, wie es dann die Ausstellung Lisas veranschaulicht: «My name is your name» und «Still faces, still love». Das ist die Perspektive, in der das beschädigte Leben wieder seine Augen aufschlägt, in der Brenner, Lisa, Deniz und Nadia, ja die Menschen überhaupt, aber auch die Kunst, sofern sie sich bilderlos als Entwurf ans Individuum hält, jenseits von Schuld zu sich und zum anderen finden. «Falsches Quartett» ist ein grossartiger Roman, mit einem Bewusstsein für die Gefährdung des Individuums bis zu den dunklen Rändern dieser Zeit.
Martin R. Dean: Falsches Quartett. Salzburg/Wien: Jung und Jung, 2014.