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Felix Philipp Ingold:
«Noch ein Leben für John Potocki»

 

«Noch ein Leben für John Potocki» heisst der Roman von Felix Philipp Ingold. Noch ein Leben! Eins hatte Jan Nepomucen Graf Potocki bereits, und was für eins: Spross einer alten polnischen Adelsfamilie, Forschungsreisender, Ethnograph, Historiker, Diplomat, Freimaurer, Kosmopolit, Romancier – und heute noch diskutiert wegen seines komplex verschachtelten Romans «Die Handschrift von Saragossa», der postmoderne Textklitterungsverfahren vorwegnimmt. Und jetzt bekommt er noch dieses zusätzliche, dieses romanhafte Leben, das Ingold auf rund 530 Seiten aufblättert. Für Ingold, den poeta doctus, bietet diese abenteuerliche Vita eine Spielwiese sondergleichen: Er erschliesst sie sich und der Leserschaft Kapitel für Kapitel, flankiert sie zum Teil mit einem Subtext, steuert Illustrationen bei und hält dabei ständig die Reflexion seiner eigenen Erzähl- und Schreibsituation wach: «Für einen Weltenbummler wie John Potocki, dessen Charakter und Intellekt wir im Spielverlauf ja recht willkürlich den jeweils zu bewältigenden Problemsituationen anpassen können, bildet der Bezirk des Möglichen einen sechsten Kontinent», kommentiert der Autor einmal – im Wissen, dass er, Ingold, sich auf genau diesem sechsten Kontinent mit all seinen Kenntnissen, seiner fulminanten Imagination und seinem abgründigen Sprachwitz einrichtet. Potocki spielt er dabei Begegnungen mit Grössen wie Klopstock, Levinas oder Haidegger (sic!) zu, und selbst den legendären Suizid Potockis persifliert er, indem er den Grafen auf einer Ballonfahrt mit Schüssen den Ballon zerfetzen und abstürzen lässt. Natürlich nicht ohne in der Fussnote auf die Silberkugel hinzuweisen, an der Potocki tagelang gefeilt haben soll, bevor er sich damit in den Kopf schoss. – Werwölfe werden bekanntlich mit einer Silberkugel zur Strecke gebracht; auch sie haben, tritt dieser Fall nicht ein, mehrere Leben.

Felix Philipp Ingold: Noch ein Leben für John Potocki. Berlin: Matthes & Seitz, 2013.

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