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Tim Krohn: «Herr Brechbühl sucht eine Katze»

Tim Krohn:
«Herr Brechbühl sucht eine Katze»

 

Die Aufregung war gross, als die Umstände von Tim Krohns «Herr Brechbühl sucht eine Katze» bekannt wurden: Das Buch ist der erste Band der Romanserie «Menschliche Regungen», mit der er über die kommenden Jahre hinweg eine Enzyklopädie von Hunderten menschlichen Gefühlen und Charakterzügen verfassen will. Der erste nun vorliegende Band besteht aus 65 Regungen, die vom Publikum via Crowdfunding für 250 Franken gekauft werden konnten. Zudem durften die Leute zwei bis drei Wörter auswählen, die Krohn ebenfalls verwendete.

«Herr Brechbühl» beginnt in einer Silvesternacht in einem Wohnblock im Zürcher Kreis 5. Über die ersten Kapitel, in denen die elf verschiedenen Figuren auftauchen, lächelt man milde und stellt sich schon auf eine schöne, allenfalls etwas anspruchslose Unterhaltung ein. Doch bald wird die Handlung intensiver. Eine spirituelle Buchhändlerin tritt auf, eine der Hausbewohner(innen) nimmt zu starke Schmerzmittel und es wird von existenziellen Träumen und Gefühlen erzählt. Da wird das Ganze philosophisch und esoterisch. Wie soll man als Rezensentin solche Passagen einordnen? Was ist davon zu halten, wenn plötzlich synästhetische Wunder stattfinden, Berührungen zu Farben werden oder die Frage im Raum steht, wann Licht viel Licht ist und wann Dunkelheit sehr dunkel ist? Freue ich mich über die jähe Höhe solcher Gedankengänge? Oder finde ich sie zu gesucht? Ist das jetzt Kitsch, oder habe ich etwas nicht verstanden?

Es zeichnet sich eben längst nicht jedes Kapitel durch Raffinement und Tiefe aus. Gerade am Anfang scheint manches belanglos, ganze Absätze werden äusserst kritisch beäugt. Nichtsdestotrotz schafft dieser Roman es, in seinen Bann zu ziehen. Bei mir kam stellenweise Hektik auf: ich fieberte mit, und es passierte so viel, dass die Kürze der Kapitel mich zuweilen nervte. Hier schlägt Krohns ehrgeiziges Ziel direkt auf die Form: er muss sich enge Grenzen setzen, um ein so grosses erzählerisches Unterfangen zu stemmen. Und so kommt es, dass ich eben noch mehr über die eine oder andere Figur wissen möchte, und – schwups! – schon werde ich in die nächste Wohnung katapultiert.

Am Ende kann ich sowohl die ursprünglich als Kitsch empfundenen Sequenzen als auch das durch die Kürze der Kapitel erzwungene Herumgerenne zwischen Figuren und Wohnungen verzeihen. Es bleiben psychologisch fein herausgearbeitete Figuren, deren vertrackte Beziehungen sowie der innige Wunsch, mehr darüber zu lesen. Es ist wie mit guten TV-Serien: die Sucht siegt.

Tim Krohn: Herr Brechbühl sucht eine Katze. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2017.

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