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Naiv ist, wer glaubt, es bleibe, wie es war

Als der Begriff «digital» noch jungfräulich war, unbefleckt von totaler Überwachung und vom kulturpessimistisch angedrohten Untergang der Musik, der Literatur sowie von allem anderen, das Spass macht, nannte die Indie-Band Tocotronic 1995 ihr erstes Album «Digital ist besser». Ironisch, denn Digital war «schlecht» für eine starre Branche wie die Musikindustrie, die stoisch festhielt am Alten und […]

Naiv ist, wer glaubt, es bleibe, wie es war
André Gstettenhofer, photographiert von Michel Gilgen.

Als der Begriff «digital» noch jungfräulich war, unbefleckt von totaler Überwachung und vom kulturpessimistisch angedrohten Untergang der Musik, der Literatur sowie von allem anderen, das Spass macht, nannte die Indie-Band Tocotronic 1995 ihr erstes Album «Digital ist besser». Ironisch, denn Digital war «schlecht» für eine starre Branche wie die Musikindustrie, die stoisch festhielt am Alten und an der Bekämpfung des Neuen. Hautnah miterlebt habe ich das intern bei Sony Music Schweiz. Die Musikbranche tat erst gar nichts für ein digitales Angebot, dann verklagte sie alles, was Musik herunterlud und bei drei nicht auf dem Baum war – und zum Schluss vergraulte sie im Kopierschutz-Wahn auch noch die letzten Käufer physischer Musikdatenträger.

Digital ist besser. Das gilt immer noch. Und vor allem für Quereinsteiger, die sich intensiv damit auseinandersetzen. Das hat Apple mit iTunes gezeigt und damit die Struktur der Musikindustrie ein für alle Mal verändert. Was YouTube, iTunes oder Spotify für die Verbreitung digitaler Musik machen, weil es der Hörer erwartet, wird schon bald jemand für Bücher, für Leser machen. Naiv sind diejenigen, die glauben, die Situation werde sich nicht ändern. Denn sie hat sich längst geändert.

Digital ist besser. Trotzdem wird es weiterhin gedruckte Bücher geben und Buchhandlungen, die sie verkaufen. Aber damit diese leben können, müssen sie mitdenken, was das Digitale mit dem Leser
und dessen Lesebedürfnissen macht. Das bedeutet: Jeder in der Branche muss zwingend eine eigene Haltung zum Digitalen entwickeln.

Digital ist besser. Meine Haltung als Verleger physischer wie digitaler Bücher ist damit klar. In den kommenden Monaten will ich versuchen, zu formulieren, wie man sich auf den Leserwandel vorbereiten kann. Bei aller Neugier will ich aber nie vergessen, dass das gedruckte Buch ein schöner, wunderbarer Zufluchtsort bleibt. Nicht nur, aber auch vor der Überwach- und Vermessbarkeit der kommenden, digitalen Welt.

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