Nicht zu vergessen #2
Vom Hörensagen
Bringt es das wirklich? Irgendwelche «unglücklichen» Schriftstellerinnen aufzuspüren, deren Existenz und Werk vergessen sind? Nein! Meiner Meinung nach genügt es, die «etablierten Marken» (Hugo, Tolstoi, Mann, Woolf, James, Moravia, Camus usw.) einem Test zu unterziehen. Dafür braucht es keine Laborgeräte, sondern nur einige Fragen. Wir stellen sie den Menschen um uns herum, nahen, fernen und völlig unbekannten. Wir beharren nur auf einem Punkt: auf der Offenheit der Probanden. Sie sollen uns die Wahrheit auftischen, auch wenn sie ohne Milch und Zucker serviert wird.
Sie wird kein Genuss sein.
Freilich gibt es Leute, die ruhigen Gewissens versichern können, dass sie «Der Zauberberg» von vorne bis hinten gelesen haben. Und dass es keine Schullektüre gewesen sei. Solche Leute verschlingen «Krieg und Frieden» und kennen das Leben des Autors, als wäre es das Leben ihres Grossvaters. Solche Ausnahmen wärmen Schriftstellerherzen und stärken den Glauben, dass es noch Leser gibt, die tatsächlich lesen. Doch für den Rest gilt: keiner hat «Les Misérables», «Der Fremde» oder «Le Mépris» gelesen. Dafür haben alle davon gehört. Alle haben sie einschlägige Filme gesehen (sie helfen bei der Erinnerung). Alle wissen, dass es berühmte Autoren sind (Berühmtheit hilft auch). Alle erinnern sich, dass der Schriftsteller Selbstmord beging oder bei einem Unfall ins Gras biss (auch das Tragische ist ein Gedächtnisstimulans).
Das war’s dann aber auch schon.
Damit hat es sich.
Es ist nichts Lebendiges. Nichts Sichangeeignetes. Nichts Persönliches. Jedenfalls nicht für die Mehrheit. Ein Jammer! Weil Literatur zu allererst etwas Privates ist zwischen einem Leser und einem Buch. Weil Letzteres Ersterem oft rein zufällig in die Hände fällt. Weil die Leser, beschäftigt mit Lesen, sich um nichts anderes kümmern – auch nicht um die Frage, ob die Stimme, die sich hinter den Zeilen verbirgt, nun vergessen ist oder nicht.
Aus dem Französischen übersetzt von Alicia Romero.