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Eve, Johnny und Yunho

Eve, Johnny und Yunho

Buch des Monats

Die drei haben als Kinder den Abzug der Japaner erlebt. Während des Trennungsprozesses der beiden Koreas – von den verwalteten Landesteilen über separate Regierungen bis zu den heftigen territorialen Invasionen im Krieg – sind sie erwachsen geworden. Yunho und Johnny im Süden, Eve, wahrscheinlich, im Norden, entgegen ihren eigenen Behauptungen.

Sie treffen 1959 aufeinander, rauchen amerikanische Markenzigaretten – so sie denn verfügbar sind – und versuchen, irgendwie zurechtzukommen. Eve, «das koreanische Klischee einer Amerikanerin», legt nie die dicke Schicht an blasser Schminke ab, weder vor dem einen Liebhaber, den sie «Johnny» tauft, noch vor dem anderen, Yunho. Vorwürfe zu ihrem westlich gestalteten Erscheinungsbild kontert sie trocken mit: «Es ist schwieriger, als es aussieht, versuch du es mal.»

Korea war zerstört, weder nördlich noch südlich des 38. Breitengrades gab es eine bestehende Infrastruktur, geschweige denn eine funktionierende Regierung. Die heutigen Grenzen waren noch nicht lange gezogen und niemand konnte ahnen, dass der Süden einen derartigen wirtschaftlichen Aufstieg hinlegen würde. Im Gegenteil: diese Aussicht bot sich eher dem an Bodenschätzen reichen Norden, wo vor dem Krieg die Industrie angesiedelt war. Die südliche Hauptstadt Seoul, wo Yunho, Johnny und Eve sich treffen, wurde während des Kriegs viermal erobert und rückerobert. Ende der 1950er Jahre ist sie Anlaufstelle für Geflüchtete, Heimatlose und Untertaucher. «Damals war es nicht ratsam, sich auf eine Identität zu verlassen, und zu keiner Zeit war es einfacher, sich mehrere zuzulegen oder die eine, die man besass, gegen eine andere einzutauschen. Und selten war Identität so fragil, sie zerbrach oft an einem Blatt Papier.»

So legen auch die drei Freunde einander kaum offen, welche politischen oder – auch heute noch gleichbedeutend – geographischen Präferenzen sie hegen, noch sind sie sich selbst im Klaren darüber, wie diese aussehen würden, wenn es möglich wäre, laut darüber nachzudenken. «Sie müssen verstehen, ich bin mit der Illusion aufgewachsen, es gebe sie [die Wahrheit] und es gebe bloss eine», erklärt Yunho einmal. Bis er in der Hauptstadt landet, hat sich diese Illusion, zusammen mit vielen anderen Gewissheiten, längst verflüchtigt. Die Freunde schlagen sich durch, um zu überleben, und sind mit allen grossen Playern verbandelt, die im Seoul dieser Zeit mitmischen. Da sind die amerikanischen GIs, gleichermassen mit Macht im und Desinteresse am ihnen so fremden Land ausgestattet. Dann ist da die Nord-West-Jugend, ein paramilitärischer Schlägertrupp zu Diensten des Präsidenten Rhees, der 1960 die Wahlen manipuliert. Und beiden entgegengesetzt agierend: die «umgedrehten» Südkoreaner, die im Krieg in den Norden geflüchtet waren und nun die kommunistische Ideologie unter Zweiflern zu verbreiten suchen. Die Folge dieser Verstrickungen: die drei müssen fliehen, nach Japan ausgerechnet, in einen Stadtteil Osakas, in dem ehemalige Koreaner wohnen. Diese wurden während der Kolonialzeit unter falschen Versprechen gelockt oder gewaltsam dorthin verschleppt – und sind inzwischen zu Staatenlosen geworden.

Die Österreicherin Anna Kim, selbst koreanischstämmig, hat für den Roman «Die grosse Heimkehr» unter anderem in den Archiven des Roten Kreuzes in Genf recherchiert, denn die Archive in Südkorea sind noch immer verschlossen. Sie berichtet ausgiebig von ihren Funden – historischen Begebenheiten, Ereignissen und Kuriositäten –, indem sie den greisen Yunho in der Gegenwart auf eine Übersetzerin treffen lässt. Er erzählt ihr seine Geschichte – und die des Landes bzw. der Länder – in den Farbtönen und Gerüchen Koreas. Kim führt durch die neuste Geschichte des Südens, der in den letzten 60 Jahren wohl den weltweit steilsten wirtschaftlichen Aufschwung erlebt hat, und stellt indirekt Fragen an die Heutigen, nicht nur die fernöstlichen: «Was wissen Sie über Ihre Heimat?» «Wie lange muss man Ausländer sein, bis man sich Inländer nennen darf?» Was ist das überhaupt, Heimat? Yunho meint: «eine heikle, furchtbare und furchterregende Religion».


Serena Jung
ist Redaktorin dieser Zeitschrift.


Buch: Anna Kim: Die grosse Heimkehr. Berlin: Suhrkamp, 2017.

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