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Matthias Nawrat: «Wir zwei allein»

Matthias Nawrat:
«Wir zwei allein»

 

Matthias Nawrats Debütroman «Wir zwei allein» greift in das Leben eines jungen Mannes hinein, dessen Unentschlossenheit seinen Alltag dominiert. Der Ich-Erzähler funktioniert einfach, hat kein Ziel. Eigentlich hätte er viele Möglichkeiten, sein Leben erfolgreicher zu gestalten, denn er ist gebildet und gut sozialisiert, aber er möchte oder kann sich nicht über die existenzerhaltenden Bedingungen hinaus entscheiden. So plätschert sein Leben dahin, wie ein schwächlicher Bach im Sommer, der im viel zu grossen Bachbett einen Weg ins Tal sucht und mehr zufällig immer denjenigen mit dem geringsten Widerstand findet.

«Wir zwei allein» greift damit ein in den zeitgenössischen Feuilletons gern debattiertes Phänomen auf: die literarische Selbstauskunft der Twentysome-things in der Multioptionskrise. Zu viele Möglichkeiten lähmen, machen phlegmatisch, ja fast schon lethargisch. Und so gestaltet sich zunächst auch das Buch: Es passiert wenig. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick ist die flackernde Liebesgeschichte der rote Faden, der einen subtilen, aber an den richtigen Stellen rasch anhebenden Bogen spannt, um in einem amorphen Finale jäh zu zerreissen. Ein Ende, das – ganz dem inhaltlichen Grundrauschen des Buches verpflichtet – trotz seiner Wucht unentschlossen bleibt. Bis dahin: immer wieder Momente, in denen man das Gefühl hat, alles doch schon irgendwo einmal gelesen zu haben. Junger Mann verliebt sich in Manisch-Depressive – und wird wie ein Squashball schmerzvoll von der einen Ecke in die andere geschlagen, ist machtlos, etwas daran zu ändern. Weil er ihr leidenschaftlich verfallen ist. Es entsteht eine Beziehung, die von ihren leicht verschrobenen Protagonisten geformt ist: kindlich und unbeholfen auf der einen, unberechenbar und dunkel auf der anderen Seite. Eine unbeständige Beziehung, die in einer Katastrophe mündet. Oder vielleicht auch nicht?

Vielleicht ist es eine Reminiszenz an Goethes «Werther» oder an Philippe Djians «Betty Blue», vielleicht gehört dieses Erlebnis in die Biographie eines jeden jungen Mannes, vielleicht ist es einfach etwas, das sich in der Geschichte des Menschen wiederholt. Auf jeden Fall mutet das Setting nicht sonderlich innovativ an. Und Theres erinnert an ein fast schon schmerzhaft naives, verträumtes Mädchen, sie wirkt kopiert, beinahe pseudo. Eine Stadt bauen, ganz aus buntem Papier? In der Nacht das Licht nicht anmachen, weil das Haus wach werden könnte? Damit raubt die Gute dem Leser den letzten Nerv. Denn was hier wie ein am Daumen nuckelndes Mädchen daherkommt, ist eine Frau. Und die wird angeblich dreissig. Unglaubhaft – und dennoch ist genau sie der rote Faden, der dem Buch die Durchschaubarkeit nimmt, seine dramaturgischen Durststrecken flutet! Ein Widerspruch überdies, der nicht zufällig sein kann.

Die protoromantische Konstellation mag arg konventionell aussehen, sie kommt dank der ausserordentlich bemerkenswerten Sprache, der man ruhig das Attribut «neu» zuschreiben darf, aber in frischem Gewand daher. Matthias Nawrat schafft es, banale Alltagssituationen in Metaphern zu giessen, die so schön sind, dass sie den Leser zwingen, innezuhalten, bloss um die Kraft der Bilder wirken zu lassen. Sätze wie «Kurz darauf sitze ich am Küchentisch, es ist zu spät, um nochmals schlafen zu gehen, zu früh, um in die Mechanik des Tages schon einzutreten. Ich bin früher wach als die Zeit selbst» oder «Der Sommer rollt heran. Mit schwerem Belagerungsgerät» zaubern ein leichtes Kribbeln auf die Kopfhaut. Die Grenze zwischen Gedachtem und Gesagtem lässt der Jungautor ebenso gekonnt zerfliessen, so dass nie ganz klar wird, ob er spricht, denkt oder gar träumt. Auch da wieder das Wesen des Vagen – als Opposition zum Bestimmten.

Es ist ein Roman, der polarisiert, der immer dann, wenn der Leser das Gefühl hat, ihn der Vorhersehbarkeit überführen zu dürfen, eine unvermittelte Wendung nimmt; geschrieben in einer Sprache, die noch lange nach dem Lesen wirkt. Ein kleines literarisches Wunder.

Matthias Nawrat: Wir zwei allein. Zürich: Nagel & Kimche, 2012.

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