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Urs Faes: «Halt auf Verlangen»

Urs Faes:
«Halt auf Verlangen»

 

Wie alle Bücher muss auch Urs Faes’ neuer Roman «Halt auf Verlangen» die Frage beantworten, warum wir es lesen sollten. Warum lesen, wie jemand monatelang im 11er Tram 17 Stationen auf sich nimmt, um sich einer Krebstherapie zu unterziehen? Beim Lesen stellt sich der Verdacht ein, dass der namenlose Protagonist und Erzähler Faes selbst ist. Warum es ihm ein Bedürfnis war, dieses Buch zu schreiben, darüber erhalten wir vielfach Auskunft. Er ist gegen siebzig Jahre alt, hat Krebs und sieht sich seinem Leben entfremdet: «Im Schreiben ahnt er manchmal, wer er sein könnte.» Er zieht Bilanz und schreibt, «um in Wörtern festzuklammern, was entschwinden wollte» – die Erinnerungen und vielleicht sogar sein Leben selbst.

Man ahnt es: «Halt auf Verlangen» ist kein Buch, das im Jetzt lebt. Die äussere Handlung besteht fast nur aus Wiederholung: Aufwachen, Tram, Bestrahlung, Tram, Schlafen. Die eigentliche «Handlung» finden wir in den Erinnerungen des Erzählers. Doch wer denkt, dass dieser in eine verklärte Jugend flieht, irrt. Die Motive seiner Vergangenheit sind die gleichen wie die seiner Gegenwart: Einsamkeit, Verlust, Tod.

Bis auf die Erzählung der Eltern bleiben die Erinnerungen episodenhaft. Die Charaktere erleben wir, den Protagonisten ausgenommen, vor allem an der Oberfläche. Faes’ Beschreibungen seiner Mutter sind ähnlich distanziert wie die von lesenden Bankern oder monologisierenden Fremden im Tram. Das emotionale Leben der Menschen, die dem Erzähler am nächsten sind, bleibt so fremd wie jenes der Menschen, die der Protagonist im Tram oder im Krankenhaus trifft. Besonders Faes’ Frauen bleiben blass. Sie werden in kurzen Episoden und Erinnerungen aufgegriffen, die meist von körperlicher Nähe und Sex geprägt sind. Sonst erfahren wir wenig über sie.

«Du redest, wie du schreibst […] Traurig. Aber schön.» Was dem Protagonisten eine Jugendfreundin sagt, will man als Leser zu Faes sagen. Für sich genommen sind viele von seinen Erinnerungsfragmenten, Tagträumen und Beobachtungen sprachlich in der Tat schön. Doch leider sind sie sich thematisch so ähnlich, dass der Leser hier, wie in den Tramfahrten des Erzählers, bald nur noch wenig Neues entdeckt. Auch als Ganzes fügen sich die Episoden nicht zu einer kohärenten Handlung. Charaktere bleiben uns fremd, entwickeln sich kaum, tauchen meist nur kurz auf, um sich der Tristesse, in der sie leben, zu ergeben und wieder zu verschwinden. Am Ende der Lektüre bleibt es bei der Anfangsfrage.

Urs Faes: Halt auf Verlangen. Berlin: Suhrkamp, 2017.

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