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Urs Faes:
«Sommer in Brandenburg»

 

Es war vermutlich ein kühler «Sommer in Brandenburg» im Jahr 1938: die Tomaten wollten nicht reifen in dem flachen Land in Deutschlands Nordosten, von dem es heisst, wenn man sich in seiner Mitte auf zwei Telefonbücher stelle, könne man in allen Himmelsrichtungen bis zu den Grenzen blicken. In dieser Region hat der emsige Zürcher Romancier und studierte Historiker Urs Faes ein wenig beachtetes Kapitel der Judenverfolgung im Nazireich nicht nur aufgegriffen, sondern auch «verdichtet» – im eigentlichen Sinne des Wortes. Seine Recherche mündet in einer möglichen Geschichte über die Macht und Ohnmacht der Liebe in Zeiten von Pest und Cholera, eingebettet in die Berichte eines Chronisten, der den realen Personen zu folgen versucht, solange sie Spuren hinterliessen. Die reale und die mögliche Geschichte spielen in einem «jüdischen Landwerk» (Hachschara) im brandenburgischen Ahrensdorf: Die Vernichtungsmaschinerie der Nazis läuft zu dieser Zeit an, während ausreisewillige junge Juden eben hier – in vermeintlich abgeschotteter Sicherheit – landwirtschaftlich ausgebildet werden, um für die Kibbuz-Arbeit in der ersehnten Heimat ­Palästina vorbereitet zu sein. Während sich die Schlinge immer weiter zuzieht, Ausreiseanträge kaum mehr bewilligt werden, die Haltung der Anwohner von geflissentlicher Ignoranz in ­offene Aggression umzuschlagen droht und daheimgebliebene Verwandte bereits in Lager verschleppt werden, verlieben sich im «Landwerk» der nachdenkliche Ron Berend und die schüchterne Lissy Harb – reale Personen, in deren spröde Gesichter der Leser auf dem Schutzumschlag des Buches blickt und ­deren Biographien der Chronist so weit verfolgt als möglich. Die historischen Fakten dramaturgisch zu bündeln gelingt Urs Faes, die Zerrissenheit der Existenz und das Verlangen nach Geborgenheit werden lebendig, ohne dass ein verstaubtes Hüsteln des Archivars über den Seiten erklingt.

Dennoch, Faes «verdichtet» sich im übertragenen Sinne des Wortes: Sprachlich schlingert er mehrfach in ein jungfräuliches Abfeiern des Angedeuteten und Hauchzarten, ein mehr streifendes als bewusstes Berühren, ein tapsiges Beschauen mit dem leeren Blick eines Rilkeschen Panthers, ein verträumtes 4-Zeilen-Vorlesen, ein flüchtiges Vögeln-nur-Hinterherblicken, statt selber… und dieser platte Kalauer ist hier bewusst gesetzt, denn es fehlt diesem Sommer in Brandenburg die Hitze, das Fieber, die Körperlichkeit, die Leidenschaft. Ron und Lissy werden deshalb nie zu Personen von Fleisch und Blut, Lust und Liebe, Schrot und Korn – ihre Geschichte bleibt Randnotiz des millionenfachen jüdischen Leids. Urs Faes erzählt andererseits aber auch von der Hoffnung «Landwerk», von der Hoffnung Palästina, von gelungenen und gescheiterten Fluchten jüdischer ­Jugendlicher. Und diese Erzählungen sind ihm wiederum interessant und sehr lesenswert gelungen.

Urs Faes: Sommer in Brandenburg. Berlin: Suhrkamp, 2014.

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