Ilma Rakusa:
«Einsamkeit mit rollendem ‹r›»
«Leben ist nicht Kino», heisst es in einer der Erzählungen, gewiss, aber so möchte ich hinzufügen, Kino, zumal gutes Kino, doch Leben! Nicht minder gilt das für gute Literatur, wenn sie wie in Form der kürzeren oder längeren Erzählungen Ilma Rakusas das Leben, so fragmentarisch auch immer, so eindringlich einzufangen weiss. Die unscheinbare Frage in selbiger Geschichte «Was hielt Lou im Innersten zusammen?», eine Variation der faustischen «Was hält die Welt im Innersten zusammen?», gibt das Modell ab für alle 14 Erzählungen in diesem Buch mit dem mysteriösen Titel «Einsamkeit mit rollendem ‹r›».
Sieben davon sind Porträts mit Titeln wie «Maurice», «Marja», «Misi» zum Beispiel, sieben weitere Szenerien eigentliche Landschaftsbilder als nature morte, die in Venasque, Bondo oder Tomaj spielen. Ilma Rakusa fokussiert gewissermassen die Kamera ihrer Erzählungen auf zwei Einstellungen: Naheinstellung für die Porträts von Menschen, die von gekonnter Hand als Skizze dahingeworfen blitzhaft als unverwechselbare Personen erscheinen, Totale für die Szenerien, in denen der Mensch wie verwoben mit seiner umgebenden Landschaft erscheint und die für ihn stehen. Ja, es ist nicht nur «eine Kunst, einen Menschen kennenzulernen», wie die Erzählerin an einer Stelle festhält, sondern auch eine hohe, auf engstem Raum eine Person so wiederzugeben, dass hinter dem Fragmentarischen der Mensch erscheint.
Wir begleiten da zum Beispiel Lou, deren Schwester mit zwölf neben ihr ertrinkt, ohne dass sie es hätte verhindern können. Wir werden Zeuge ihrer Einsamkeit, die sich später in ihrer Verweigerung der Mutterschaft fortsetzt und mit dem mutwilligen Abbruch der Liebe zu ihrem Mann Marko endet. «Wenn eine Beziehung entgleist, wird sie zerstörerisch», schreibt die Erzählerin an einer Stelle, und wie das geht, zeigt Rakusa in konziser Kürze anhand einiger Lebensläufe von Menschen, denen es nicht mehr gelingt, «das Sagbare vom Unsagbaren zu trennen». So sind alle diese Erzählungen in diesem Band Versuche, von der Kontingenz und der Gefährdung unseres Lebens zu sprechen. Rakusa zeichnet mit einer nachmetaphysischen Unerbittlichkeit unsere «trans-zendentale Obdachlosigkeit» (Georg Lukács) nach. So ist bei Rakusa der Sternenhimmel über uns Lichtjahre entfernt von dem Immanuel Kants, der noch als Krönung des Menschen diente. Vielmehr ist der «Himmel gross wie ein Zelt, mit Myriaden von Nachtsternen. Ihnen ist egal, welche Totenköpfchen unter der Erde liegen. Sie flimmern fahl … Undenklich rein und gelassen.» In dieser stellaren Kälte aber schreibt die Autorin immer mit aller Wärme an «den Wimpern der Seele» des Menschen.
Ilma Rakusa: Einsamkeit mit rollendem «r». Graz: Droschl, 2014.