Brief aus der Romandie (douze)
Getrennt von meinen letzten Worten bleibt ein Nichts, gleitet meine Hand über ihre Wurzel auf Erden, adieu.» So beschloss Philippe Rahmy sein erstes Buch, «Mouvement par la fin» (Cheyne, 2005). «Ein Porträt des Schmerzes» und «Gesang des Abscheus» nannte der an der Glasknochenkrankheit leidende Autor zwei seiner poetischen Bände. Trotz körperlicher Fragilität unternahm der kleine […]
Getrennt von meinen letzten Worten bleibt ein Nichts, gleitet meine Hand über ihre Wurzel auf Erden, adieu.» So beschloss Philippe Rahmy sein erstes Buch, «Mouvement par la fin» (Cheyne, 2005). «Ein Porträt des Schmerzes» und «Gesang des Abscheus» nannte der an der Glasknochenkrankheit leidende Autor zwei seiner poetischen Bände. Trotz körperlicher Fragilität unternahm der kleine Mann mit Brille, Hut und sonorer Stimme weite Reisen und schuf ein vielbeachtetes Werk. Für «Béton armé» (La Table ronde, 2013), den Bericht eines Schanghai-Aufenthalts, erhielt er u.a. den Prix Pittard de l’Andelyn und den Prix Michel-Dentan, für seinen London-Roman «Allegra» (La Table ronde, 2016) einen Schweizer Literaturpreis. In «Monarques» (La Table ronde, 2017) verschränkte Rahmy die Geschichte seiner ägyptischen und deutsch-jüdischen Vorfahren mit derjenigen des jungen Herschel Grynszpan, der 1938 den deutschen Botschaftssekretär in Paris erschoss. Dabei stellte er die Frage nach Gewalt und legitimer Gegenwehr der Opfer. Diese Frage beschäftigte ihn auch in seinem nächsten Projekt, für das er Gespräche mit amerikanischen Gefängnisinsassen führen wollte. Es bleibt unvollendet: Der «Araber aus Kristall», wie er sich nannte, starb am 1. Oktober 52jährig in Lausanne.
Wie Rahmy begibt sich Isabelle Flükiger in ihrem fünften Buch «Retour dans l’est» (Faim de siècle) auf familiäre Spurensuche: Zusammen mit ihrer Mutter reist die Autorin in ihre Heimatstadt Bukarest. Dabei erinnert sie sich an Besuche bei den Grosseltern, mit denen sie nicht sprechen konnte, da die Mutter ihr kein Rumänisch beigebracht hatte. Die Grosseltern waren jüdisch und entflohen dem Ceauşescu-Regime nach Israel – zum Preis einer schmerzhaften Entwurzelung. Trotz des ernsten Stoffes, dem die Autorin durchaus gerecht wird, blitzen immer wieder der Humor und die Leichtigkeit auf, die man aus dem 2011 publizierten, beim Rotpunktverlag 2013 auf Deutsch erschienenen Roman «Best-seller» (Faim de siècle/Cousu mouche) kennt.
Ruth Gantert
ist Redaktionsleiterin des dreisprachigen Jahrbuchs der Schweizer Literaturen «Viceversa» und der Plattform www.viceversaliteratur.ch. Sie lebt in Zürich.