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Comic? Graphic Novel? Was denn nun?

Begriffsverwirrung in der Zeichnerwelt

Frühsommer 2013, Comicfestival München: Gemeinsam mit einer Handvoll weiterer Interessierter sitze ich im Dachraum des Künstlerhauses in der Innenstadt und lausche einem Vortrag zum Thema «Was sind Graphic Novels?». Nach rund vierzig Minuten kommt der fachlich kompetente Redner zur Erkenntnis, Graphic Novels seien eigentlich nichts anderes als Comics. In den USA werde jeder Comic, der über einen Buchrücken verfüge, zu den Graphic Novels gezählt, meint er. Aha. So ist das also. Keine Hefte, keine klassischen Comicalben, keine Taschenbücher. Graphic Novels eben.

Ich verlasse den Vortragsraum einigermassen verunsichert. Ein Besuch in der Buchhandlung des Vertrauens soll Klarheit bringen. Ich frage beim Personal nach, wo ich wohl die Graphic Novels fände. «Die stehen hier hinten bei den Comics», lautet die Antwort. Ich hake nach: «Wo liegt genau der Unterschied?» – «Nun, Graphic Novels sind einfach eher wie Bücher, dicker, umfangreicher, mit längeren, in sich abgeschlossenen Geschichten…»

Der Umfang macht aus einem Comic eine Graphic Novel? Vorträge, Händler – vielleicht bringt ein Anruf beim Verlag mehr Klarheit. Nach mehrmaligem Durchstellen zum Fachmann sagt man mir bei einem grossen deutschen Comicverlag: Graphic Novels, das seien Comic-Geschichten. Aber solche, die sich eher an ein erwachsenes Publikum richten. Nach dem Telefonat bin ich ratloser als zuvor: Meine fein säuberlich im Regal aufgereihten «Akira»-Bände sind demnach Graphic Novels? Aber: Können Mangas auch Graphic Novels sein? Meine Verwirrung ist perfekt.

Klar ist: Comics wurden vom Feuilleton lange ignoriert und allgemein belächelt oder als Kinderkram abgetan. Gleichgesetzt mit banalen, knallbunten Geschichten, übertrieben gezeichneten Knollennasen-Figuren, eindimensionalen Superhelden-Charakteren in bunten Strumpfhosen und einer Menge «Ächz!», «Paff!» und «Boing!». Nun scheinen sie doch noch angekommen zu sein im Kultur-Olymp – bloss unter anderem Namen: Graphic Novels.

Die Abgrenzung zu anderen Formen des gezeichnet-sequentiellen Erzählens scheitert weitgehend. Das inhaltliche Spektrum deckt sich mit dem der Comics: Der geneigte Leser findet Autobiographisches, historische Themen, aber auch Humor, Abenteuer oder Science Fiction. Es handelt sich – im Gegensatz zu mancher Behauptung – bei Graphic Novels auch nicht immer um abgeschlossene Geschichten, die vom Umfang her über die 48 Seiten eines klassischen Comicalbums hinausgehen. Und Comicstrip-Sammlungen in Buchform zählen – glaubt man den Programmen einschlägiger Verlage – ebenfalls dazu.

Der Schluss liegt nahe: die «Graphic Novel» ist ein geschickter Marketingtrick der Comicindus-trie, um neue Leser zu gewinnen. Weg mit dem Schmuddel-Image der Comics, hin zu Seriosität und Geist! Aufwendig gestaltete Hardcover-Ausgaben auf edlem Papier tragen ihren Teil dazu bei, dass sich die «neuen» Comics in den Buchhandlungen sehr gut ins Bild einfügen. Aber: Comics bleiben Comics! Und ebenso gilt: Comics sind nicht gleich Comics. Es existieren Subgenres, die sich in Format, Aufmachung und Inhalt unterscheiden. Die Graphic Novel ist eines dieser Subgenres, so nähere ich mich dem Versuch einer Definition, das sich eher ernsthaften Themen widmet, das die Komposition von Text und Zeichnung ernster nimmt als viele andere Comicformen und somit wahrscheinlich literarisch-künstlerisch das anspruchsvollste ist.

Dieser «Literarische Monat» unternimmt auf den folgenden Seiten den Versuch, die Eigenheiten der Graphic Novel und ihre Beziehung zum Comic auszuloten, und das Besondere dieses Subgenres hervorzuheben. Als Zeichner kann ich sagen: Wenn das Medium Comic mit der «Graphic Novel» einen zusätzlichen Aufschwung erlebt, so ist das unabhängig von allen scheiternden Definitionsversuchen zu befürworten. Für das Medium – aber vor allem für die (bisher noch nicht) interessierte Leserschaft.

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