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Die Gatekeeper

Wer ein Debüt publizieren will, kommt an ihnen nicht vorbei. Wen suchen Verleger und Agenten, wenn sie von «neuen Stimmen» reden – und wo finden sie sie?

Die Gatekeeper
Gunnar Cynybulk und Katharina Altas, fotografiert von Michael Wiederstein.

Frau Altas, wie kommen neue Autorinnen zu Ihnen, wo suchen Sie sie?

Katharina Altas (KA): Da gibt es ganz unterschiedliche Wege. ­Einige meiner Autoren haben in Biel studiert, dort besuche ich in der Regel die Abschlusspräsentationen. Andere schreiben mir eine Mail. Und dann bekomme ich natürlich Tipps: Niko Stoifberg, dessen Erstling vor kurzem erschienen ist, war eine Empfehlung eines Bekannten. Aber eigentlich suche ich kaum noch – ich finde. Denn ich werde mit Anfragen überhäuft.

Das ist bei Verlagen ähnlich. Herr Cynybulk, haben die ­Absolventen von Literaturinstituten einen Startvorteil in diesem Aufmerksamkeitswettbewerb?

Gunnar Cynybulk (GC): Die Absolventen der Schreibhochschulen sind sehr präsent – und das liegt natürlich daran, dass es dort institutionalisierte Formen von Öffentlichkeit gibt: Es gibt Abschlusslesungen, es gibt den «Open Mike»-Wettbewerb, der sich an denselben Typus von Debütanten richtet. Dann sind eben viele Betriebsaugen auf diese jungen Leute gerichtet: von Lektoren, Verlegern, Redakteuren. Übersehen wird da niemand.

Ist die erhöhte Aufmerksamkeit denn berechtigt – oder anders gefragt: Sind diese Jungautoren überdurchschnittlich gut?

KA: Ich denke, von einer «Kaderschmiede», in dem Sinn, dass jeder, der «Biel» abschliesst, ein wahnsinnig erfolgreicher Schriftsteller wird, kann man nicht sprechen. Die Qualitätsunterschiede sind gross. Aber das Studium in Biel ist ja auch so angelegt, dass man die dort erlernten Fähigkeiten – über Storytelling, über die Wirkung von Sprache – auch ausserhalb einer Autorenkarriere gut gebrauchen kann. Und ja, die, die gut sind, kommen frühzeitig mit Lektoren, Mentoren und Agenten in Kontakt und sind so schon während der Studienzeit im Literaturbetrieb gut vernetzt. Die Chance ist also gross, dass man davon hört, wenn jemand etwas Besonderes macht.

GC: Das meinte ich eben. Für jene, die es reizt, ungewöhnliche junge Literatur zu finden, ist es vielleicht fast zu offensichtlich, in Hildesheim, Leipzig oder Biel zu suchen. Es entsteht sofort die Simulation einer professionellen Beziehung – denn die Absolventinnen und Absolventen wissen sich auch zu vermarkten, was völlig in Ordnung ist. Es geht also sofort darum: Wer könnte das lesen wollen, wie viele Leute könnte das interessieren? Das macht die Suche an diesen Orten, ehrlich gesagt, nicht so spannend (Gelächter).

Moment. Sie meinen: Das «Scouting» der Verlage macht an den Literaturinstituten weniger Spass als andernorts?

GC: Also, sicher macht es auch da Spass, ein Talent zu ent­decken – aber es macht eben noch mehr Spass, einen bis dahin unbekannten Autor zufällig in einer Zeitschrift zu lesen oder ­irgendwoher einen Tipp zu bekommen: «Hier, lies das bitte mal.» Das ist dann wahre Finderfreude!

Welche Rolle spielen ökonomische Überlegungen bei Ihrer Auswahl – wie sehr muss man auch «Bücher für den Markt» machen? Da hat man es mit neuen Gesichtern ja nicht ganz leicht…

GC: Es gibt nicht den Markt, es gibt Märkte. Auch die Ullstein-Verlage richten sich eben an verschiedene Märkte. Der Markt für den Nachwuchs – ich verbitte mir den Begriff normalerweise – ist tatsächlich sehr klein, aber eben interessant: weil da möglicherweise Themen, die gesellschaftlich breiter werden, zum ersten Mal gedacht werden. Migration zum Beispiel, da gibt es bei Ullstein die wunderbare Anthologie «Eure Heimat ist unser Albtraum», herausgegeben von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah, in der es um das Lebensgefühl und die Ausgrenzungserfahrungen einer Generation geht, die deutsch ist, sich aber nach wie vor für ihre Hautfarbe oder ihren «komischen» Namen rechtfertigen muss. Das Buch war auf der «Spiegel»-Bestsellerliste – da gibt es ein grosses Interesse, weil Deutschland eben ein sehr disparates Land ist, keine homogene Kultur, die Schweiz ja auch nicht.

KA: Wenn ich mich als Agentin mit der Frage «Was will der Markt?» auf die Pirsch machen würde, wäre das Kaffeesatz­lesen. Klar, ich bekomme beim Lesen eines Manuskripts ein Gefühl, ob das funktionieren könnte, aber da geht es um den Text, ob er sprachlich originell ist, ob der Plot funktioniert. Und dann um Themen und Persönlichkeiten. Gerade habe ich den Erstling eines 93-Jährigen unterbringen können. Er hat über die Zeit vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben und ist Zeitzeuge der deutschen Geschichte. Es ist ein Roman und kein autobiografischer Text – und es ist sein Vermächtnis. Ich dachte, das bringe ich im aktuellen Kontext des Wiederaufstiegs der Rechten in Europa bei einem grossen deutschen Verlag unter – aber es war extrem schwierig, einen Verlag zu finden.

Sie erwähnen jetzt vor allem das Alter, die Vita dieses aussergewöhnlichen Debütanten – nicht seinen Text. Sollte nicht dessen Qualität im Vordergrund stehen?

KA: Natürlich spielt die Qualität des Textes auch eine Rolle. Aber hier war auch die Zeitzeugenschaft ein Grund, warum ich mich an die Vertretung gewagt habe.

GC: Ach, das war doch schon immer so: Die Story hinter dem Buch ist die halbe Miete. Wir alle wollen die besondere Erzählerin haben, etwas, das über den Text selber hinausweist. Das ist doch ein legitimes Interesse der Lesenden. Man möchte wissen: Wer macht denn hier das Maul auf?

Ihr Verlag Ullstein fünf veröffentlicht – so das Programm – Bücher, «in denen es um die Gegenwart geht». Auch ihr setzt also eher auf Themen als auf Geschichten?

GC: Die Gegenwart ist gegenwärtiger denn je (lacht). Die alte Öffentlichkeit wird pulverisiert, Digitalisierung, Globalisierung, Partnerschaftsmodelle verändern sich, und ich beobachte, dass junge Autorinnen und Autoren sich sehr bemühen, die Gegenwart zu lesen – das finde ich aufregend. Aber Relevanz der Sprache, der Konzepte und der Themenauswahl müssen alle zusammenkommen. Ohne den eigenen Ton zu suchen, den mancher in sich trägt und mancher eben nicht, muss man es gar nicht angehen, darauf achten wir zuerst. Aber dann bitte noch eine Portion Wachheit dazu: Dass junge Autoren sich kontextualisieren, sich fragen, was ist drängend, was muss erzählt werden, was geht mich etwas an, was geht andere an – das ist doch ein tolles Konzept, und wir machen eben einen Gegenwarts­verlag, in dessen Programm diese Fragen streng gestellt werden.

Wenn man jüngere Autoren in einen eigenen Verlag unter dem Dach des Haupthauses ausgliedert: Heisst das nicht auch, dass man sich nicht traut, sie ins Hauptprogramm aufzunehmen?

GC: Nun, wir hatten gerade Lukas Rietzschel mit 24 Jahren im Ullstein-Hauptprogramm – weil er ein aussergewöhnlicher und reifer Erzähler ist. Aber klar: Eine Verlagsvorschau ist in erster Linie ein Ordnungsinstrument für Buchhandel und Presse – und mit Ullstein fünf wissen die: Hier bekommen wir die jüngeren Stimmen.

Aber bieten Sie Jüngeren eine andere Betreuung, zugeschnitten auf diese Phase ihrer Laufbahn? Die muss man ja aufbauen.

GC: Wir wollen jede und jeden professionell betreuen. Bei Ullstein fünf arbeiten 30jährige Verlagsleute mit 30jährigen Autoren. Das ist auf Augenhöhe, partnerschaftlich, das erzeugt eine grosse gegenseitige Anteilnahme, weil die Themen sehr «nahe» und die Identifikation entsprechend gross sind. Das kann man doch nur begrüssen…?

Aber wie sieht es mit dem Marketing aus? Ich kenne Verlags-Horrorgeschichten, in denen der Praktikant das Lektorat und der Autor 100 Prozent der Werbung für seinen Titel über­nommen hat. Wofür braucht es da noch Verlage? 

KA: Das Lektorat wird schon sauber gemacht – das Problem scheint mir eher nach dem Druck zu kommen, dann fängt doch die eigentliche Arbeit erst an – das Buch sichtbar zu machen! Darauf sollte in allen Verlagen grosser Wert gelegt werden. Die Pro Helvetia etwa hat ihre Förderrichtlinien angepasst und einen Teil der Werkbeiträge für das Verlagsmarketing reserviert.

GC: Es gibt ja das immer noch sehr aktuelle Buch «Verlage ohne Verleger» von André Schiffrin, das diese Lücke beschreibt, die zwischen Autoren und Verlegern entstanden ist. Da sind unter anderem auch die Literaturagenturen hineingesprungen. Aber unabhängig vom Label geht es ja um feste Bezugspersonen, die sich für eine Autorin und ihr Werk einsetzen. Und das machen wir – wenn nötig – auch gegen Widerstände.

Und danach? Immer wieder hört man: Schwieriger als das Debüt ist eigentlich der Zweitling. Abschlussfrage: Stimmt’s?

KA: Die Erwartungen sind gross. Eine «neue Stimme» ist noch ganz gut zu vermarkten. Beim zweiten Buch ist die Stimme nicht mehr neu – und gerade, wenn das erste erfolgreich war…

GC: … ist die träumerische Zeit vorbei! Und es beginnt das, was man Alltag nennt. Dann kommen die Remittenden, die Zahlen, und man muss sich hinsetzen und sehen, ob man die hoffentlich realistisch gesteckten Ziele erreicht hat. Und dann zeigt sich, wer Ausdauer hat und wer nicht. Zum Trost für letztere: Man kann auch eine literarische Existenz führen, ohne zu pu­blizieren. Ist auch schön.

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