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René Frauchiger: «Riesen sind nur grosse Menschen»

René Frauchiger: «Riesen sind nur grosse Menschen»

Die Dekonstuktion des auktorialen Erzählers. Mit Mitteln des auktorialen Erzählens.

René Frauchigers Debütroman lässt sich vielleicht am ehesten beschreiben, indem man aufzählt, was er alles nicht ist: Er ist kein Märchen, obwohl der Ton märchenhafte Züge trägt; er ist keine Science Fiction, auch wenn er das Hier und Jetzt verfremdet darstellt; er ist keine Fabel, kein Fantasy- und kein Abenteuerroman – zwar spielt er mit all diesen Elementen, doch er lässt sich auf keines reduzieren. In der Anlage lebt der Roman von einem originellen Einfall: Die Figuren interagieren nicht nur untereinander, sondern auch – oder sogar in der Hauptsache – mit dem Erzähler, der gewissermassen als Medium zwischen ihnen fungiert. Es ist die Dekonstruktion des auktorialen Erzählens – mit den Mitteln des auktorialen Erzählens. Denn so interessant die Idee ist, den Figuren eine narrative Unabhängigkeit zu gewähren, sie lässt sich nur ansatzweise umsetzen. Natürlich sprechen und handeln die Figuren noch immer ausschliesslich nach den Direktiven des Erzählers, und keine erzählerische Selbstironie, keine narrativen Abenteuer auf der Metaebene lösen dieses Paradoxon auf. So wendet sich die Leseerfahrung gegen den Vorsatz des Romans: Indem die Figuren vornehmlich auf der Metaebene agieren, werden sie gerade nicht als eigenständig, sondern viel stärker noch als Erfüllungsgehilfen des Autors kenntlich, und das verhindert letztlich die «willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit», die den Leser mit einer solch fantastischen Geschichte mitgehen liesse. Der Roman weist unablässig auf seine Raffinesse hin, die aber von diesen Hinweisen sehr bald aufgehoben wird.

Das dramaturgische Zugpferd des Plots ist eine Entführung. Die Rasanz des Geschehens wird dabei durch eine vehement antirasante Erzählweise konterkariert, das Aufregende so unaufgeregt vorgetragen, dass sich beim Lesen wenig Aufregung einstellt. Diese erzählerische Entschleunigung und die eklatante Diskrepanz von Erzählendem und Erzähltem bieten Raum für eine alternative Spannung, zumal sich der Autor sehr grosszügig beim Prinzip des ironischen Verweises bedient. Letztlich überführt er die Handlung allerdings in eine Parabel über eine Unwillkommenskultur, die etwas zu offenkundige Parallelen zur aktuellen Flüchtlingssituation aufweist und dem Leser kaum je Ambivalenzen und umso mehr pfannenfertige narrative Statements serviert. In diesen Passagen wirkt der Roman wie die brave Literarisierung eines engagierten Twitter-Accounts, der Unbedarften überdies ein Proseminar für Erzähltheorie anbietet.

Die Hauptsache aller Literatur lässt sich schwer als konkretes Kriterium umschreiben, trotzdem ist sie das Wichtigste: Literatur muss eine Dringlichkeit erzeugen, die den Leser zum Komplizen für Ungeheuerliches macht. Und genau diese Komplizenschaft versagt sich der Roman durch seine Bravheit teilweise selbst.


René Frauchiger: Riesen sind nur grosse Menschen. Erlangen: homunculus, 2019.

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