Fanny Wobmann:
«Am Meer dieses Licht»
Spitäler sind keine Orte, die wir gerne besuchen. Wir sind froh darüber, dass es sie gibt, falls mal etwas passiert, aber ebenso froh, wenn wir sie (hoffentlich) bald wieder verlassen dürfen. Kaum jemand, der dort nicht arbeitet oder seine Nächsten in Behandlung weiss, widmet ihnen viel Gedanken. Spitäler sind zu nahe am Tabuthema Tod gebaut. Auch literarisch ist der Topos eher problematisch: Zu schnell verlieren sich Geschichten über Krankenhausaufenthalte im Melodramatischen oder – wie bei Charlotte Roches «Feuchtgebieten» – in allzu übertriebenen Details.
Doch das Thema Krankheit und Tod lässt sich auch anders angehen. In Fanny Wobmanns neuem Roman «Am Meer dieses Licht» lernen wir zwei Frauen kennen – die eine am Ende ihres Lebens, die andere gerade erst mittendrin. Der Rest der Familie besucht die nach einem Sturz im Spital untergebrachte, im Buch (vor)namenlos bleibende Grossmutter nur selten – Enkelin Laura kommt als Einzige regelmässig vorbei.
Lauras Besuche sind von einer stillen Ehrlichkeit geprägt. Nichts wird verschwiegen oder beschönigt, genauso wenig aber ausgeschlachtet. Der Grundton ist nüchtern und dennoch poetisch: «Ich sehe dir beim Schlafen zu. Ich betrachte dich so lange, dass ich am Ende beinahe eine Ahnung davon habe, wer du wirklich bist.» Wie Wobmann kleine Nuancen des Spitalalltags präzise beobachtend hervorhebt, ist eine der grössten Stärken des Romans. Daneben lebt «Am Meer dieses Licht» auch vom sachten Rebellentum der beiden Frauen: Nach einem langen Leben voller Mühe und braver Familienidylle traut sich die Grossmutter endlich, der eigenen Tochter, die sie – und Laura – recht schroff behandelt, die Stirn zu bieten. Und in der Rahmengeschichte Lauras offenbart sich nach und nach das Geheimnis eines Auslandaufenthalts in England. Wobmann braucht keine sensationelle Enthüllung, keinen grossen Spannungsbogen. Wie der Rest des Romans fügt sich die Rahmenhandlung in ein unprätentiöses, stimmiges Ganzes, in dem kaum ein Wort fehl am Platz wirkt. Sätze wie «Der Kaffee schmeckt nach Geschirr» fassen das Nötige perfekt zusammen.
Angesichts dieser schlichten Sprachstärke und ungekünstelten Poesie überrascht es nicht, dass Fanny Wobmann für ihren nun neu auf Deutsch erschienenen Roman 2017 mit dem Terra-Nova-Literaturpreis der Schweizerischen Schillerstiftung ausgezeichnet wurde. «Am Meer dieses Licht» ist ein kleines Kunstwerk, das ergreifend und doch verschmitzt die Verbundenheit von zwei Frauen zelebriert.
Fanny Wobmann: Am Meer dieses Licht. Aus dem Französischen übersetzt von Lis Künzli. Zürich: Limmat-Verlag, 2018.