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Giuliano Musio:
«Scheinwerfen»

 

Gleich im ersten Absatz von «Scheinwerfen», dem packenden Erstling des Berners Giuliano Musio, wird klar, wohin die Reise für seine Protagonisten nicht geht: nach oben. Dorthin blickt Toni Weingart als Kind durch ein Loch in der Decke auf den Dachboden des Elternhauses, nachdem er erstaunt festgestellt hat, dass «zuoberst im Haus noch gar nicht Schluss war». Doch das Oben lädt nicht ein: «Trockene, nach Staub riechende Luft sank zu ihm hinab.» Ein strebsamer Mensch, der Zukunft zugewandt, wird Toni also nicht mehr, ebenso wenig sein Bruder Julius oder dessen Freundin (und ihrer beider Cousine) Sonja. Überhaupt ist – bezeichnenderweise – der einzige, dem in «Scheinwerfen» so etwas wie Optimismus nachgesagt werden kann, ein Dummkopf: Res, eigentlich Andreas, Tonis und Juliusʼ peinlicher Halbbruder, mit dem sie aber dummerweise die hereditäre Fähigkeit zum «Scheinwerfen» teilen: Durch Berühren anderer Menschen können sie in deren Vergangenheit blicken – was ihnen zwar den Lebensunterhalt sichert, ansonsten aber nur Unheil bringt.

Die klassische Idee der fluchbehafteten Sehergabe variierend, baut Musio seinen Roman – psychologisch stark, also ohne zu psychologisieren – als Tragödie auf, wenn auch aus -eigenwilligem Material: Nicht Schuld macht hier nämlich das Geschehen zum Geschick – wiewohl es in «Scheinwerfen» an blutigen Missetaten und -tätern nicht mangelt –, sondern Zweifel und Misstrauen. Ein existentieller Generalverdacht gegen alles Einfach-so-Sein, der teils eher vulgär als Normalitätsneid daherkommt, teils aber als albtraumhaftes Entgleiten lebenserhaltender Gewissheiten. Das funktioniert hervorragend. Wer weiss, vielleicht ist Schuld wirklich nicht mehr à la mode und sind Unbehagen und Entfremdung die zeitgemässeren Instrumente, um dem Leser unter die Haut zu gehen – wenigstens, wenn es diesem ebenso an Urvertrauen gebricht wie Musios Protagonisten. Diesem Leser wird dann der Selbsthass des homophob-schwulen Toni die Kehle zuschnüren, oder das trostlose Auseinanderdriften von Julius und Sonja – er ängstlich verharrend, sie voll fehlgeleitetem Freiheitsdrang: Auf Beziehungsrettungstour durch Schottland finden wir Sonja «mit Rucksack, Julius mit einem Koffer, den er hinter sich herzog». Im Hotel angekommen, legt sich Julius nähebedürftig aufs Bett, Sonja zieht nicht einmal die Schuhe aus: «Sie wollte hinausgehen, solange es noch hell war.»

Hinaus geht es aber auch nicht in «Scheinwerfen», zumindest nicht ungestraft – sondern nur hinab, das ganz und gar unausgeleuchtete, schlüpfrige Gefälle des Vorwärts hinunter, hinein in Zerstörung, Angst und Wahn. So scheint es zumindest. Zuunterst ist dann Schluss. Und es regnet Frösche.

Giuliano Musio: Scheinwerfen. Wien: Luftschacht, 2015.

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