Optimismus ist nicht die Sache von Richard Kraft: Schon die zweite Ehe des Rhetorik-Professors scheitert und er hat Geldsorgen. Da verspricht Tobias Erkner, ein Multimillionär aus dem Silicon Valley, jenem Denker eine Million Dollar, der folgende Frage – inspiriert von Alexander Popes «An Essay on Man» – am besten beantworten kann: «Theodicy and Technodicy: Optimism for a Young Millennium. Why whatever is, is right and why we still can improve it?»
Kraft reist nach San Francisco, um für Erkners Wettbewerb einen Vortrag zu halten. Dann ist er mit etwas Glück seine finanziellen Sorgen los – so weit Krafts Plan. Doch anstatt aufwärts geht es für ihn weiter bergab. Blockiert durch den Druck, das Geld gewinnen zu müssen, und erschöpft vom Jetlag kommt der Rhetorikprofessor mit seinem Vortrag nicht voran. Die Verbindung zu seinem Studienfreund István, bei dem er in San Francisco wohnt, ist abgekühlt. Und dann sind da auch noch die selbstbewussten Gründer aus dem Silicon Valley, die im Grunde die gleichen Visionen wie Kraft vertreten, sie aber radikaler und effizienter umsetzen. «Deswegen, so verkündet der Erfinder, habe er beschlossen, sein Leben der Aufgabe zu widmen, Essen empirisch nachzubilden. […] Und dies, das weiss Kraft genau, ist nichts anderes als die kapitalistische Grundoperation.» Angesichts solcher Pläne ist Kraft verschreckt und irritiert.
Nach der Novelle «Frühling der Barbaren» ist «Kraft» Jonas Lüschers zweites erzählerisches Werk. Er porträtiert in seinem Roman einen Mann, der alles verliert, was ihm wichtig ist, woran er glaubte: So weit, so vertraut, kann man also sagen. Diese Ausgangslage ist in Romanen schliesslich nicht gerade selten. In «Kraft» kommt allerdings ein besonderer Erzähler zu Wort, der die Story um seinen Protagonisten wie eine Anekdote wiedergibt, ihn «unser Kraft» nennt und sowohl wohlwollend als auch augenzwinkernd berichtet. «Kraft» lässt sich ausserdem nicht nur als Porträt eines Scheiternden lesen. Sondern der Roman fragt auch, wie Europa und sein Bildungssystem der digitalen Revolution aus dem Silicon Valley begegnen sollen: Soll man sich anpassen? Oder sich doch besser auf die eigenen Werte besinnen? Die Gründer aus dem Silicon Valley wollen nicht mehr und nicht weniger, als die Welt zu retten, oder eben die Kulturtechnik des Essens auf ihren Kern reduzieren, ebenso selbstbewusst wie radikal. Mit Logik und wissenschaftlich sauberer Arbeit halten sie sich gar nicht erst auf. Und genau hieran scheitert Kraft: er ist weder fähig noch willens, sich darauf einzulassen.
Leider sind die Silicon-Valley-Figuren überzeichnet. Das fällt umso negativer ins Gewicht, weil der Roman ansonsten sehr viel eleganter ist, was die philosophische, politische und metaliterarische Ebene des Werkes betrifft. Übrigens findet der Roman selbstredend auch eine Antwort auf die Eingangsfrage. Keine Bange, es folgt kein Spoiler. Nur so viel: es ist eine pessimistische, also, mit dem Roman gesprochen, europäische. Und, leider: ebenfalls etwas flach.
Jonas Lüscher: Kraft. München: C. H. Beck, 2017.