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Lukas Linder: «Der Letzte meiner Art»

Lukas Linder:
«Der Letzte meiner Art»

Man hält sich in den hier geschilderten Szenerien schlicht gerne auf.

Eine verrückte Diva als Mutter, einen Nichtsnutz als Vater, ein Genie als Bruder, von Schulkameraden gemieden, schwächlich, kränklich und hässlich. Der Protagonist von Lukas Linders Debütroman «Der Letzte meiner Art» ist mit allem Möglichen geschlagen, am meisten aber mit dem Gefühl, vielleicht dennoch ein grosser Mensch werden zu können. Alles spricht dagegen: Während der Bruder wechselweise als Maler, Autor und Musiker reüssiert, wollen sich bei ihm keine nennenswerten Talente zeigen. Was ihm bleibt, ist sein Name, Alfred von Ärmel – derselbe wie jener seines grossen Urahns, der einst in der Schlacht bei Marignano eine ganze Horde von Franzosen erschlug und vor dessen Porträt der Held in schweren Stunden neuen Mut schöpft.

Zusammengehalten wird die spannungs­geladene Familienkonstellation von der ebenso unerbittlichen wie launischen Grossmutter, deren einzige Umgangsform das Lieblingsmittel absoluter Herrschaft ist: reine Willkür. Doch damit wird nicht nur alles abgeurteilt, was sie umgibt. Aus unerklärlichen Gründen ist sie plötzlich auch überzeugt, dass der vielgeschmähte jüngste Sprössling den Namen der Familie zu neuem Glanz führen soll, und meldet Alfred von Ärmel für einen Fernsehgesangswettbewerb an.

So weit, so witzig, zumal der Leser bereits ahnt, dass der Protagonist auch und gerade überhaupt kein bisschen singen kann. Wie aber kann sich aus dieser hoffnungslosen Gemengelage ein Plot entwickeln? Was gibt es zu erzählen, wenn das Versagen auf ganzer Linie vorprogrammiert ist? Das bleibt zunächst ein wenig unklar: Es reiht sich Fiasko an Fiasko, stets in übertriebenen Farben gemalt, in denen sich zwar lustige Wendungen ergeben, aber immer wieder alles im Sand verläuft. Hat man sich jedoch an die Zerrspiegel der Groteske gewöhnt, werden im Roman Nuancen erkennbar. Die holzschnittartige Szenerie und die schrillen Figuren werden auf sehr genau beobachtete Charakteristiken und alltägliche Fehlleistungen hin transparent.

Keine der Figuren wird ernsthaft sympathisch, keines ihrer Vorhaben besonders interessant und keiner ihrer Beweggründe erscheint besonders nobel oder aber erschreckend. Und doch entwickelt das Buch einen guten Zug: Hat einen die süsse Melancholie des an Autoren wie Tschechow oder Hrabal geschulten Helden eingenommen? Oder ergibt sich doch noch ein eigentlicher Plot? Beides ist der Fall, getragen wird die Lektüre aber letztlich von etwas anderem: Man hält sich in den hier geschilderten Szenerien schlicht gerne auf. Denn man findet darin, von «dringlicher» Handlung oder tiefgründiger Psychologie unbehelligt, grundlegende Umstände des zwischenmenschlichen und auch immer wieder des eher einsamen Lebens einfach sehr schön beschrieben.

Lukas Linder: Der Letzte meiner Art. Zürich: Kein & Aber, 2018. 

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