Matto Kämpf: «Tante Leguan»
In einer Redaktion irgendwo zwischen Mittelland und Mittelmass fristen drei KulturjournalistInnen ihr routiniertes bis abgestumpftes Dasein. Am ehesten tun sie so etwas wie leben mittags im «El Burro» beim Fressgelage oder dann abends im «Godzilla» bei Bier und Musik. So würde das wohl bis ins Rentenalter weitergehen – doch eines Tages liegt diese selbstgebrannte CD der chinesischen Band «Tante Leguan» in der Post. In null Komma nichts lassen sich die Kulturschluffis von einer unsichtbaren Kraft aus dem lokalen Konzert-Theater-Vernissagen-Morast ziehen und buchen Flugtickets, um die Band live zu sehen. Der Kurztrip weckt eine Reiselust, die anscheinend tief in den dreien geschlummert hat: Ihre nächste geografische Verlagerung lässt sie einer Bloggerin in Neapel einen Sparschäler schenken; später finden sie in der «Brasserie Georges» in Lyon kulinarische Höhepunkte und in La Brévine Tiefsttemperaturen, in Baden-Baden mieten sie ein Jackett.
Dass Matto Kämpf einer der unterhaltsamsten Menschen ist, die durch die Schweizer Kleinkunstszene geistern, ist unbestritten. Den Diashow-Thron wird er wahrscheinlich noch viele weitere Jahre unbewaffnet verteidigen können. Und dass er eigentlich zu alldem hin auch noch Bücher schreiben kann, hat er in «Kanton Afrika – Eine Erbauungsschrift» ausladend bewiesen: solider Aufbau, unterhaltsame Handlung – und das alles mit Kämpf’schem Humor und Skurrilität à gogo. Matto Kämpf zwischen zwei Buchdeckeln funktioniert.
Was genau aber zwischen den Buchdeckeln von «Tante Leguan» klemmt, erschliesst sich nicht ganz. Ein Road-Book, ein entschärfter Jack Kerouac? Ein Coming-of-Age-Roman (wobei «of age» hier eher freie Fahrt auf die vierzig zu bedeutet) über das Erwachsenwerden in einer Kulturredaktion?
Was sich im ersten Viertel noch ganz unterhaltsam konsumieren lässt – etwas Lamento über die Spiessigkeit der Restredaktion, ein paar Selbstzweifel (weil eben wirklich freie Fahrt auf die vierzig zu), dazu die Übersättigung durch das ganze Kulturgedöns –, wird auf den restlichen 120 Seiten bis in die Extreme ausgereizt. Die Gesprächsfetzen mögen interessante Gedanken bergen, bleiben aber auf dem Weg zum Dadaismus in einem Weder-noch-Zustand hängen und klingen deshalb alle ungefähr so: «‹Vulkanglühen› und ‹Stonehenge› sind meine Favoriten» − «Dort trinkt einer Milch» − «Hoffentlich ist Alkohol drin» − «Die Hoffnung stirbt zuletzt» − «In den Filmen trinken die Psychos immer Milch» usw., usf.
Das Gefühl, Kämpf habe seine Post-it-Zettel-Ideenkiste auf dem Küchentisch ausgeleert und die einzelnen durchaus flotten Gedanken mit einer vorgetäuschten Handlung zu einem Roman mehr schlecht als recht zusammengeschustert, lässt nicht mehr los. Kämpf selbst nennt es ein «klassisches Feel-Bad-Buch». Und leider hat er recht damit: Man fühlt sich irgendwie schlecht. Vor allem auch, weil man weiss, dass er es so viel besser könnte.
Matto Kämpf: Tante Leguan. Luzern: Der gesunde Menschenversand, 2018.