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«Simon»

Angefangen habe ich wie alle mit den Slotmaschinen. «Lass uns ins Kasino gehen!» Da ist immer irgendein interessanter Typ oder ein Kumpel, der dich an einem Mittwoch um zehn Uhr abends in der Bar erwischt, wenn in Mendrisio Friedhofsruhe herrscht und das Leben nur noch im Admiral weitergeht, dem Kasino mit seiner protzigen Fassade und […]

Angefangen habe ich wie alle mit den Slotmaschinen. «Lass uns ins Kasino gehen!» Da ist immer irgendein interessanter Typ oder ein Kumpel, der dich an einem Mittwoch um zehn Uhr abends in der Bar erwischt, wenn in Mendrisio Friedhofsruhe herrscht und das Leben nur noch im Admiral weitergeht, dem Kasino mit seiner protzigen Fassade und den drei lieblos hingestellten Wänden, die das
Gebäude aufrecht halten. So wie sich manche nur die Schneidezähne putzen, weil sie dann lächeln und allen weismachen können, sie seien anständig. Auf einen Gewinner kommen drei Verlierer. Falsch. Auf einen Gewinner kommen tausend Verlierer.
Das Gesicht macht einen gepflegten Eindruck, der Rest ist zum Kotzen.

Du gehst mit, du hast nichts Besseres vor und gehst mit. Er schiebt die ersten fünfzig hinein, und du beobachtest den Spielverlauf. Als er den Hunderter setzt, lässt du dich in seiner Nähe nieder und versuchst es mit einer Zehnernote. Es ist wie beim Tanken, du schiebst eine Note in den Automaten und der wirft aus. Wirft Droge aus. Während du die Regeln, die Geräte und den ganzen Rest zu begreifen versuchst, vergeht die Zeit. Dieser Eindruck von Zeit, von Dauer, prägt sich dir ein, er wird sich nie ändern, nicht einmal, wenn du später blank bist, nicht einmal, wenn dein Dasein später so anders ist, dass dich auch vier gezielte Nackenschläge mit dem Hammer nicht zur Besinnung bringen könnten.
Am ersten Abend gewinnst du normalerweise. Vor allem mit dem Verdopplungsspiel, rechts gewinnst du, links verlierst du, vier Franken, dann acht und so weiter. Oder eine Linie Trauben oder Aprikosen für je zwei Franken. Du bleibst im Spiel. Inzwischen häufst du Franken an, um für die ersten drei Sterne deines Lebens bereit zu sein. Sie müssen nicht unbedingt nebeneinander liegen, einer pro Walze reicht. Meine ersten drei Sterne bildeten ein perfektes Dreieck, der erste unten links, der zweite oben in der Mitte, der dritte unten rechts. Es sah phantastisch aus. Die Maschine geriet in freudige Aufregung, uh-ouh uh-ouh. Lichter blinkten. Ich warf mich gegen die Rückenlehne, verstand nicht, was los war. Der Nachbar erklärte mir, was ich tun musste. Ich hatte drei Sterne erwischt. Vier Freispiele, also vier Gewinne auf Nummer sicher. Wenn du Glück hast, kommen mindestens einmal die drei Glocken, fünfzig Franken. Zusammen mit den anderen Versuchen streichst du hundert Franken ein. Du fühlst dich wie ein Dieb. Du nimmst alles Geld und gehst auf ein Bier, im Gesicht ein dämliches Grinsen. Geil, dieses Kasino. Du spendierst deinem Freund ein Getränk, aber seine Verluste deckst du nicht. Er bittet dich auch nicht darum, obwohl du ihm von den Augen ablesen kannst, dass er es hofft und gerecht finden würde. Er redet von seinen Fehlern und versteckt seine Eifersucht hinter einer geheuchelten Freude. Wenn du gut bist, gibt er dir zu verstehen, kannst
du fast nicht verlieren, früher oder später kommen die Sterne immer.

Eine Aussage von absoluter Gültigkeit.

Du bist es, der sich ändert. Deine Vorstellung von Verhältnismässigkeit. Am Anfang, wenn du hundert gesetzt hast und hundertzehn gewinnst, hast du vorwärtsgemacht und der Abend ist gelungen. Du glaubst, dass Gott dich an der Hand genommen hat und dich nun ins irdische Paradies führt. Wenn du fünfzig gesetzt hast und zwanzig verlierst, nimmst du das Geld, sobald die drei Sterne kommen und du den Verlust ausgleichst. Du bist ein Auserwählter, du verlierst nie.

Wenn du so weit bist, hast du das Spielen gelernt. Dein Tempo beim Drücken der Taste hat sich von zehn, fünfzehn Sekunden pro Anschlag auf eine Sekunde gesteigert. Dein Hirn entziffert die Symbole schneller, als die Slotmaschine sie im Fenster anzeigt. Du ahnst sie praktisch voraus. Es ist wie beim Spitzentennis, wenn ein begnadeter Spieler den Service seines Gegners nicht sieht, sondern gleichsam liest, ihn mit offenen Augen träumt. Du bist in der gleichen Gefühlswelt, wenn du die Hunderternote hineinschiebst, sie im Spalt verschwinden und oben zwischen den Symbolen und der Reihe von Kirschen zu einer grünen Nummer auf dem rechteckigen Display werden siehst, aber du weisst genau, dass du alles verlieren wirst. Du weisst es, und doch hoffst du auf den Augenblick der Offenbarung, der dich auf einen Schlag von allen Sorgen befreit. Du setzt mal ein paar Franken, um die drei Walzen in Bewegung zu bringen. Beim ersten Versuch kommt eine Kirsche, mit wenig Überzeugung verdoppelst du und verlierst. Beim zweiten eine Zwetschge, eine Glocke und das BAR-Zeichen, der dritte bringt dir zwei Sterne und eine Kirsche. Du drückst die Taste noch einmal, nichts. Du behältst die zwei Franken deines Gewinns und erhöhst den Einsatz auf das Maximum. Zehn Franken auf einen Schlag. Du fühlst, wie die Spannung, das Adrenalin steigt, der Traum wird dichter, wird zu Materie. Du kannst ihn anfassen. Es ist der rote Knopf, auf dem «bet» steht.
Wie kann dein Glück über einen Laut kommen, der wie ein Blöken klingt? Aber das denkst du natürlich nicht. Du drückst die Taste. Drei Sterne, einer neben dem anderen. Bitte schön, tausend Franken für Sie. Du behältst sie und drückst noch einmal. Jetzt schaust du nicht mehr auf die drei Walzen mit den Symbolen, du schaust nach oben, wo sich deine Zukunft entscheidet – Cherry Collect, vier Freispiele, zwei Freispiele, zehnfach, Fruit Stop. Du schliesst die Augen und hoffst, dass dir das Glück hold ist. Cherry Collect, das Beste. Aber es ist noch nicht ganz geschafft, entscheidend ist die letzte Hürde, du musst noch einmal «bet» drücken, um die Anzahl Steps zu definieren: sieben, zehn oder fünfzehn. Wenn fünfzehn kommen, hast du ausgesorgt und kannst kündigen. Du drückst auf die Taste. Fünfzehn Steps. Mit einer Kirsche macht das fünfzig Franken, mit zwei hundert Franken, mit drei zweihundertfünfzig Franken, mit vier tausendzweihundertfünfzig Franken, mit fünf zwanzigtausend Franken. Also ungefähr das, was du in sechs Monaten als Angestellter der Post verdienst. Wenn fünfzehn Steps kommen, musst du nur noch rechnen. Wenn zehn kommen, nimmst du zweihundertfünfzig bis tausendzweihundertfünfzig Franken mit nach Hause, bei sieben Steps kannst du es vergessen. Lächerlich, da nervst du dich nur.

Einmal ist mir dieses Kunststück gelungen, jedenfalls fast. Ich spielte gerade auf den Slots der neusten Generation, auf denen für die echten Spieler, mit Ledersesseln statt Polsterstühlen. Mindesteinsatz fünf Franken, Höchsteinsatz fünfzig auf einen Schlag. Rechnet selbst. Die drei nebeneinanderliegenden Sterne hatten mir fünftausend ein-gebracht, fünfzehn Steps wären fünfzigtausend Franken wert gewesen, plus fünftausend, fünfundfünfzigtausend Franken. Ich hätte alle meine Schulden begleichen können und wieder anfangen zu leben. In letzter Sekunde änderte die Maschine ihre Meinung, statt auf fünfzehn blieb sie auf sieben Steps stehen. Es war kaum wahrnehmbar gewesen, aber sie war diesen kleinen Augenblick länger als sonst auf der Fünfzehn geblieben, der ausreichte, um mich träumen zu lassen.

Ich spielte sofort dreitausend an derselben Maschine, denn wenn es eine Gerechtigkeit gab, musste sie mir früher oder später zurückgeben, was sie mir genommen hatte. Dann ging ich zum Roulette und setzte tausend Franken auf Rot. Ich verlor. Ich setzte fünfhundert auf Schwarz. Verlor. Fünfhundert auf die Achtzehn und tausend auf Schwarz. Ich gewann tausend mit Schwarz. Ich ging wieder nach unten und verspielte unter Tränen die zweitausendfünfhundert, am liebsten hätte ich dabei geschrien. Als mich niemand sehen konnte, spuckte ich auf das Anzeigefenster, dann zwang mich die Scham, es mit dem Hemdsärmel wieder zu putzen. Am Unterarm fühlte ich ein wenig Spucke. Das Abscheulichste, das Schmutzigste, mit dem ich je in Berührung gekommen bin.

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