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Lukas Hartmann:
«Finsteres Glück»

 

Eigentlich hätte es gar nicht passieren dürfen, hat doch Kurt Tucholsky schon vor knapp hundert Jahren plakativ gewarnt: «Du willst immer eine grosse Schlanke und dann bekommst du… eine kleine Dicke.» Habe ich darauf gehört? – Natürlich nicht. Ich wollte einen spannenden Krimi. Ich wollte am Ende von Lukas Hartmanns Roman «Finsteres Glück» die Lösung aller Verwicklungen, ich wollte sehen, wie der letzte schwarze Vorhang zur Seite gerissen und die Fratze des Verbrechens entlarvt wird. Ich war übrigens sehr früh sicher: es ist nicht die Schuld des Vaters. So weit, so gut: sie ist es wirklich nicht. Aber er ist es auch nicht, der Roman. Er ist kein Krimi. Ich habe mich verlesen. Ich wollte… – und bekommen habe ich einen psychologischen Roman über den langen Weg aus der Dunkelheit ans Licht, über das Suchen und Finden von Geborgenheit, aber auch über das zwischenmenschliche Gemetzel eines entwürdigenden Streits um Schuld und Sorgerecht. Ein guter, trotz tiefgründiger Thematik flotter, niemals dozierender Roman. Aber kein Krimi!

Lukas Hartmann schreibt über schlechte und rechte Traumatherapie, scheinheilige Patchworkfamilien, staatliche Fürsorge, verstörte Kinder und schwierige Mütter, streitlustige Verwandte sowie eine schummrige Sonnenfinsternis. Genauer: der achtjährige Yves hat seine zwischen Sein und Schein scheiternden Eltern und zwei Geschwister beim Autounfall an einer Tunnelwand verloren. Der Grund des Unfalls ist unklar, die Angehörigen streiten um den überlebenden Yves, und in diesen Streit wird die Psychologin Eliane Hess weit tiefer hineingezogen, als ihre professionelle Distanz es erlaubt.

Die klug geführte Handlung steuert ohne Abschweifungen auf einen Showdown zu: das grosse, schlanke Finale, straff zum Höhepunkt gebracht. Was kommt, ist das kleine dicke Ende: die schluchzenden Umarmungen am Fusse eines besinnlichen Altars in einer Elsässer Kirche, das Händchenhalten, das Habdichliebhauchen, das Schwelgen in christlich gesegneter Familieneinigkeit, im Herzen rein und umflort vom güldenen Lichte. Das ist Glück. Aber kein Krimi.

Lukas Hartmann: Finsteres Glück. Zürich: Diogenes, 2010.

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