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Von den Bergen schweigen


Keine Hymnen mehr, bitte, keine Sehnsüchte, haltet ein mit dem Patriotismus, der Verklärung, den Sportresultaten, der Todessehnsucht, dem Kitzel, der Alltagsflucht, dem Höhenrausch, dem Lob und dem Hudel, dem Lug und dem Trug, dem Pathos und dem Jagdschloss, dem Steigeisengeklimper und dem Werweissen um den Whymper, den Gebeten, den jämmerlichen, und dem Geblöffe, dem gottserbärmlichen. Die Berge rufen euch nicht. Die Berge, die sind still. Meinetwegen gurgeln sie, donnern, tosen. Im Kino kommen ihre Nordwände neuerdings mit dem erschütternden Röhren tibetischer Langhörner einher, aber sonst: kein Laut, keine Antwort auf die Fragen, die Bergsteiger oft mit sich tragen. Die Berge haben viel Grosses an sich, aber keine grossen Antworten. Sie haben ja nicht einmal grosse Fragen. Buddha-gleich hocken sie da. Ob ihre Häupter ins Nirwana reichen oder ob sie da oben nur leere Luft haben, das bleibt Ansichtssache.

Bei Caroline Fink lässt sich in diesen Ansichten seitenweise schwelgen. Die Alpinistin, Autorin, Fotografin und Filmemacherin hat dieses Jahr auf den hochragenden Stapel der alpinen Bildbände ein Fotobuch gelegt, das bemerkenswert ist in seiner Konsequenz. «Silence» ist eine Sammlung von Fotografien, die auf ihren Touren entstanden. Nichts Spektakuläres hebt diese Aufnahmen hervor. Selbst die Bildsprache nimmt sich zurück und öffnet eine Ruhe, die nicht inszeniert werden kann, aber vorgefunden. Es sind schlichte Motive, Nebel, Verwehungen, Schneeweiss, das in Himmel übergeht, auf manchen sind nur noch Farbverläufe zu erkennen. Sie selbst sagt über diese Aufnahmen, dass sie erst gar nicht gewusst habe, was sie an ihnen fand. Doch waren und blieben sie stille Freude. Der Alpenwelt mangelt es nicht an fotografisch kunstvoller Darstellung, die Coffee-Tables biegen sich. Doch nach dem ästhetischen Genuss dieser Prachtbände bleibt das un­bestimmte Gefühl, dass die Faszination der Berge nicht in ihrer Abbildung zu fassen ist. Der Erfolg von Caroline Finks «Silence» rührt wohl auch daher, dass in ihm nicht allein das Auge angesprochen wird, sondern die Erinnerung an selbst Erlebtes erwacht. Das lauteste in der heutigen Mediatisierung der Alpen ist vielleicht die Stille.

Auch der Fotograf Stefan Hefele hat in den Bergen viel Ruhe gefunden, wenn auch eine gespenstische. Während vieler Jahre ist er zu verlassenen und vergessenen Orten gestiegen. Zu stummen Zeugen einstiger Betriebsamkeit im Alpenraum. Verklungen sind der Lärm auf römischen Handelsstrassen, das nachmittägliche Tee-Geklimper in
Hotelpalästen, die geschrienen Befehle in den Gefechtsstellungen und das Klappern der Zoccoli in Bergdörfern, die niemanden mehr behausen, aus­ser den Geistern, die seltene Besucher heraufbeschwören. Den morbiden Charme hat Hefele in der heute gebotenen Idealisierung eingefangen. Stilecht folgt er den berühmten Vorbildern solcher Porträtserien. Es gibt sie über Detroit, Havanna oder russische Weltraumstationen. Doch zur Schönheit seiner Ruinen gehört, dass man sie einzeln aufsuchen muss, manche über mühsame Wege, und dank ihnen wird die Reise in die Vergangenheit nicht nur sinnbildlich, sondern – so hofft der Wanderer in die Geisterwelt – auch erlebnisreich. Der Autor und Alpenkenner Eugen E. Hüsler gibt uns in seinen Begleittexten das historische Rüstzeug dafür mit. Nicht jeder Geisterort erhält von ihm seine Geschichte nacherzählt, einige Pfade bleiben geheim. Aber wo kämen wir hin, wenn uns die Ausflüge in die Stille nicht vor allem zu uns selbst führten?

Bücher:

Caroline Fink: «Silence». Glarus: AS Verlag, 2018.

Stefan Hefele und Eugen E. Hüsler: «Geisterhäuser – Verlassene Orte in den Alpen». München: Bruckmann, 2018.

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