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Wanderschuhkauf

Wanderschuhkauf
Michael Stauffer, photographiert von Tobias Bohm.

Der Laden hiess «Sport 200und1» und der Verkäufer Dominik Haderbolec. Er hat 18 Jahre alte Jeans getragen, Röhrenjeans, wie man sie eigentlich nicht mehr kaufen kann und wie man sie auch nicht mehr tragen sollte. Diese Jeans waren auf dem linken Hosenbein stark verschmutzt, auf dem rechten mittelmässig verschmutzt, dazu trug er einen überteuerten Pullover der Marke Willy Bogner. Dieser Pullover sass Dominik wie angegossen, das war sehr erstaunlich im Vergleich zu der Hose. Frisiert war Dominik extrem aufwendig und eigentlich schön, man kann sagen, er war schön frisiert. Er hatte in seinem Auftreten etwas Chaotisches, Tierhaftes; wie ein Eichhörnchen rannte er um die Regale herum, zog Schachteln raus, fragte nach meiner Schuhgrösse, die er gleich wieder vergass, rannte mit geöffneten Schuhkartons um die Regale, kippte die Schuhe vor mir auf den Boden und sagte: «Hier haben wir ein Modell, des könnt was sein.» Dann war er schon wieder weg, kam mit irgendeinem anderen Schuh wieder in einer völlig falschen Grösse: «Hier haben wir ein Modell, des könnt was sein.»

Dieses Spiel hat sich ungefähr fünfundzwanzig Mal wiederholt, bis vor mir ein unglaublicher Wanderschuhberg stand. Dann hat Dominik angefangen, in diesem Schuhberg zu wühlen, um mir gezielt einzelne Schuhe hinzuhalten, zu zeigen und wieder zu sagen: «Des könnt was sein, des könnt was sein, des könnt was sein.» Am Schluss, als ich einen Schuh schon fast am Fuss hatte, sagte Dominik Haderbolec plötzlich: «Haben Sie Socken? Haben Sie Socken!» Ja natürlich hatte ich Socken. Aber ich sollte nicht irgendwelche Socken haben, sondern Super- Wander-Spezial-Socken, zum Beispiel der Marke Fink! Ich sass also vor Dominik Haderbolec, der mir eine Socke mit dem Namen Fink verkaufen wollte, bevor ich einen einzigen Wanderschuh anprobiert hatte, und musste herzlich lachen.

Und dann war Dominik Haderbolec plötzlich beleidigt und dachte, ich wollte ihn verarschen. Er hielt sich eine Fink vor sein Geschlecht und sagte, er böte nur Sachen an, die er selbst getestet habe und selbst verwende. Dann begann er grinsend, obszöne Bewegungen zu machen. Ich verliess den Laden und Dominik Haderbolec, ging ein paar Strassen weiter, kaufte mir bei «Warz Papierwaren» Stift und Karton, fertigte ein Schild und brachte es unbemerkt von Dominik Haderbolec an seinem Laden an. «Wegen Geschäftsaufgabe: Heute 85% auf alle Fink-Socken.» In der gegenüberliegenden Bar «Q-Stall» setzte ich mich und beobachtete einen halben Tag lang den von mir eingeleiteten Niedergang des Ladens «Sport 200und1». Dominik Haderbolec, dachte ich bei einem Halben grünen Veltliner, wird sein Paar Wandersocken beim baldigen Verlassen dieser Stadt noch gut gebrauchen können.

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