Wenn das der Igel wüsste!
Peter Zimmermann: «Was der Igel weiss».
Ist es nicht genau das, was wir uns wünschen? Erzählungen aus der Schweiz, in denen Gegenwart, Geschichte und Zeitgeist verhandelt werden statt verkorkster Innerlichkeit? Texte, in denen das Menschliche, von der Freundschaft bis zur Ethik, in plastischer Weise greifbar wird? So wie in Peter Zimmermanns Coming-of-Age-Öko-Anarcho-Roman, seinem «Debut», wie der Verlag auf dem Umschlag vermerkt? – Ja, «Was der Igel weiss» ist eine Geschichte, der man im Grunde gerne folgen möchte, wenn Tom zu Beginn und unerwartet seinen Jugendfreund Patrick wiedertrifft, mit dem ihn nebst Freundschaft auch Schuld verbindet, und wenn sich diese Schuld schon auf den ersten Seiten in Patricks Handprothese Raum verschafft.
Leider vermag der Autor das Versprechen nicht einzulösen. Hätten Namen eine Bedeutung, seiner träfe ins Schwarze: Hier ist ein Handwerker an der Arbeit. Einer, der seine Arbeit ernst nimmt, aber auf der Suche nach dem literarischen Sound nicht übers Kunsthandwerk hinauskommt. So klingt Literatur nicht: Kaum ein Abschnitt ohne formale Banalität, kaum eine Seite ohne sprachliche Klischees; auf Romanlänge wird brav jedem Nomen sein Adjektiv beigeordnet, von Patrick mit der «abgewetzten Lederjacke» bis zu den Augen, die «glasig schauen». Da «thront» die Schule am Hang, werden «Gewölbe ins Licht getaucht» – man möchte «boshaft grinsen», aber «die Lage ist zu ernst» für Schadenfreude, selbst dann, wenn Köpfe an Schultern gelegt werden, «wie es nur Mädchen können». Selbst nach über zweihundert Seiten, in der Nacht, als die jugendlichen Öko-Aktivisten illegal in eine Schweinefarm eindringen, dröhnen keine Turbinen, wummert keine Lüftung, sondern ist es nur «unerträglich laut». Leider rettet auch der coole Onkel Bruno nicht darüber hinweg, eigentlich eine Reflexionsfigur, doch auch er kommt kaum über Plattitüden hinaus.
Wo die Kaskade an Gespreiztheit endet, beginnt der Reigen an Appositionen: Stets weiss der Autor noch etwas mehr als sein Ich-Erzähler, und er kann es nicht für sich behalten, sei es auch nur, dass der Erzähler im Atlas blättert, «der auf dem Pult lag». Jede Regung muss uns der Autor expressis verbis unter die Nase reiben. Ausser in den Dialogen. Dort bleibt der Gestus knapp, soll die Coolness der Jugendlichen zur Geltung kommen. Bisweilen erinnern die knappen Wortwechsel aber mehr an Spaghettiwestern aus den Sechzigern als an Kantischüler aus den Neunzigern. So entsteht eine halbgare TV-Krimiästhetik, die nicht recht zum grossen Erzählstrang um Tom und Patrick passen will, den Jugendlieben zu Lena und Jasmin, den Geschichten von Ticketschwarzhandel und Öko-Anarchismus. Guten Geschichten – im Grunde genommen.
Wer für die Sommerferien spannende Lektüre mit Wiedererkennungswert sucht (so war’s in den Neunzigern!), wird hier durchaus fündig, wenn sie auch literarisch wenig anspruchsvoll ist. Darüber können auch die Gütesiegel der Kulturförderinstitutionen nicht hinwegtäuschen.
Peter Zimmermann: «Was der Igel weiss».
Luzern: Edition Bücherlese, 2020.