Wie meinen Sie das?
Wenn Humor aus tiefen Abgründen klettert, ist er häufig schwarz gefärbt – und nicht immer leicht zu durchschauen. Zumindest für jene zahlreichen Schweizer, denen der heilige Ernst des Lebens den Sinn für die Satire vernebelt.
«Unerhört!» «Der Mann tut mir leid!» «Man sollte ihr die Kinder wegnehmen!»
Das waren nur einige der Reaktionen auf einen Text, der immerhin mit dem Zusatz «eine satirische Auseinandersetzung» erschienen war. Der Text hiess wie der Auftrag: «Mein Leben als Schriftstellerin». Welches mir gerade besonders anstrengend und erschöpfend erschien. Aber das wollte, das konnte ich so nicht schreiben. Schliesslich hatte ich mich selber in diese Situation gebracht, die, wenn man genau hinschaute, etwas Absurdes hatte, durchaus auch etwas Komisches. Also stellte ich die Realität kurzerhand auf den Kopf und erfand mir einen Alltag mit ungestörter Schreibzeit, ausgedehnten Lesereisen und inspirierenden Gesprächen in verrauchten Bars (so etwas gab es damals noch). Während mein fiktiver Künstlerinnengatte zuhause meine Kleider bügelte und die Kinder ermahnte, ruhig zu sein: «Mama schreibt!» Ein billiger Trick, ich gebe es zu. Trotzdem wunderte ich mich über die Reaktionen: Dachten die Leute wirklich, ich lebe so? Sahen sie mich nicht täglich mit wildem Haar und müdem Blick vor dem Kindergartentor und an der Supermarktkasse stehen?
Meine damalige Schwiegermutter wurde beim Einkaufen angehalten und mit gespielt-besorgtem Blick gefragt, wie ihr Sohn das denn aushalte. Dabei wussten ihre Nachbarinnen so gut wie sie, dass er als rasender Reporter in der grossen weiten Welt unterwegs war, während ich zuhause versuchte, alle Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten.
Wie konnte es zu diesem Missverständnis kommen? Das Lachen blieb mir im Hals stecken. Diese Satire war aus meiner Verzweiflung geboren. Der Humor aus einem Abgrund geklettert, rabenschwarz. Das ist meine Art von Humor, der sich fast ausschliesslich gegen mich selbst richtet. Nein, «gegen» ist falsch. Er entzündet sich vielmehr an mir. An meinem Leben. Wie der Schwefelkopf eines Streichholzes braucht er eine Reibungsfläche. Schwarzer Humor ist schwieriger zu verstehen, zu verkaufen als schenkelklopfender. Es ist einfacher, über die anderen zu lachen als über sich selbst. Nicht nur, aber besonders in der deutschsprachigen Schweiz.
Wir nehmen uns zu ernst. Wir fragen uns bei jedem Schritt: Wie sieht das aus? Was sagen die anderen dazu, was sollen die Leute denken, was macht das für eine Gattung? Diese Fragen beherrschen nicht nur den bürgerlichen Alltag, sondern auch die Kunst in diesem Land. «Willst du wirklich so wahrgenommen werden?», fragt man und nicht: «Willst du das wirklich so sagen?»
In meinem zweiten Bühnenprogramm «Die Unvollendeten verändern sich» übe ich einen Tanz ein. Diese Szene war ursprünglich ernst gemeint, doch es wurde schnell klar, dass ich trotz fleissigem Üben und einfacher Choreographie rettungslos überfordert war. «Ist das anatomisch überhaupt möglich, dass man seine Hüften so komisch bewegt?», rief die Regisseurin während einer Probe entnervt – und wir brachen alle in erleichtertes und gleichzeitig erschrockenes Gelächter aus. Ja, offensichtlich ist das anatomisch möglich! Das beweise ich nun Abend für Abend vor Publikum. Und das Publikum lacht. Es lacht mich nicht aus, es lacht befreit und ich mit ihm: Es ist also doch möglich, Glück zu empfinden, auch wenn – oder gerade wenn – man lächerlich wirkt dabei. Lächerlich: zum Lachen.
Um den Glauben an den Schweizer Humor an und für sich nicht ganz zu verlieren, greife ich regelmässig zu meinem Lieblingsbuch: «Mein Name ist Eugen» von Klaus Schädelin. Dass ein Berner Pfarrer in den moralisch rigiden Fünfzigerjahren eine so subversive Szene wie die mit der «Hüschiene» schreiben konnte, versöhnt mich mit allem. Nein, ich erzähle sie nicht nach. Lesen Sie sie selber. Wenn Sie den Schweizer Humor verstehen wollen, müssen Sie nur dieses eine Buch lesen.
Ja, das meine ich ernst.
Wirklich.