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Alex Capus: «Königskinder»

Alex Capus: «Königskinder»

Da dieses Buch so beschwingt, federleicht daherkommt, ohne sich seine komplexe Architektur anmerken zu lassen, verdient es das Prädikat: äusserst lesenswert!

Die Romantiker wussten: beim Erzählen geht es um alles. Geschichten dienten der Unterhaltung, zweifellos. Aber sie leisteten auch einen Beitrag zu einer ganz lebenspraktischen Veranschaulichung oder gar zur Bewältigung existenzieller Krisen. Autoren wie E.T.A. Hoffmann oder Eduard Mörike nutzten dafür in ihren Werken gern verschiedene Rahmensettings wie Salon- oder Wirtshausgesellschaften, in denen eine Figur von einer Legende oder einer vermeintlich allzu wahren Begebenheit zu berichten weiss. Meistens stimmen die Zuhörer irgendwann ein oder ergänzen den Verlauf. Oftmals stehen strauchelnde Helden im Zentrum, die spät doch noch Erlösung finden – ein Beispiel für die Irrungen und Wirrungen des Daseins? Sicherlich − und darüber hinaus: was solcherlei Entwürfe wagen, ist nicht mehr und nicht weniger, als die Kraft des Erzählens selbst zu dokumentieren. Es lässt uns das oftmals schwierige Leben besser verstehen.

Spätestens mit diesem Bücherherbst deutet sich eine Renaissance dieses wunderbaren Modells an. Insbesondere Alex Capusʼ «Königskinder» steht im Zeichen romantischer Narrationskunst. Als hätte es eine fremde Macht so vorgesehen, bleibt das Ehepaar dieses Romans eines Nachts in einem Gebirgspass bei tosendem Schneesturm mit dem Auto stecken. Um die Zeit bis zum Morgen zu überbrücken und dem drohenden Kältetod entgegenzuwirken, greift Max zu einer Geschichte. Er entführt seine Frau Tina in das Jahr 1779. Ein kauziger Kuhhirt flüchtet sich nach einer unglücklichen Liebe ins Militär und landet schliesslich als Viehbauer am französischen Königshof. Doch was nützt eine Idylle auf den weiten Ländereien des Regenten, wenn man sie mit niemandem teilen kann? Nach mehreren Verwicklungen gelingt es der Schwester Ludwigs XVI., die Jugendliebe des Naturburschen nach Versailles zu holen und so doch noch ein gutes Ende herbeizuführen.

Weniger die Story an sich als vielmehr deren Stellenwert für die beiden Toyotainsassen scheint entscheidend. Wie zu Beginn des 19. Jahr­hunderts, als sich die romantischen Schriftsteller in einem zerklüfteten deutschen Raum nach Heimat und Identität sehnten, bedient sich auch «Königs­kinder» des Erzählens als Hoffnungs-medium. Es offeriert Ordnung in einer chaotischen und tristen Welt. Überdies ermöglicht es Max und Tina ganz konkret, wach zu bleiben und die Nacht zu überstehen. Angesichts dieses Kniffs fühlt man sich unmittelbar an die Geschichten aus «Tausendundeiner Nacht» als einer wohl weiteren von Capusʼ gelegten Fährten erinnert. Hierin präsentiert die gefangene Scheherazade dem persischen König allnächtlich ein neues Märchen, um ihrer Hinrichtung zu entgehen. Mit Capusʼ warmherzigem Buch kann man zumindest Lesenächte gut überstehen. Da es so beschwingt, federleicht daherkommt, ohne sich seine komplexe Architektur aus Anspielungen und Querverweisen schwerfällig anmerken zu lassen, verdient es das Prädikat: äusserst lesenswert!

Alex Capus: Königskinder. München: Hanser, 2018. 

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