Arno Camenisch: «Herr Anselm»
Das Leben eines Abwarts plätschert vor sich hin.
Eines meiner Lieblingsbücher ist Gerhard Meiers «Ob die Granatbäume blühen»: ein schmales rotes Bändchen, das mich bei jeder Lektüre wieder aufs neue berührt und mich dazu gebracht hat, meine Masterarbeit über den Autor zu verfassen. Es ist sein letztes Buch – ein Monolog für seine verstorbene Frau Dorli, ein Entkommen aus der Einsamkeit, ein Erinnern par excellence. Ebenso schmal, aber in Grün eingefasst, ist «Herr Anselm» von Arno Camenisch, doch schon die ersten Sätze erinnern an seine rotumschlagene Schwester: «Schau, ich habe dir ein paar schöne Blumen gebracht, sagt er und packt die Blumen aus dem Papier, neun Stück sind es, ich habe sie nachgezählt, genau neun auf den Punkt genau…»
Denn auch Herr Anselm spricht mit seiner verstorbenen Frau: Er bringt ihr Blumen ans Grab und berichtet von den Dingen, die seine kleine Welt bewegen. Seit 33 Jahren ist er Abwart der kleinen Dorfschule in den Bündner Bergen. Er ist die Konstante, die treue Seele im Hintergrund, die wenn nötig auch die Aushilfe für kranke Lehrer geben kann. Herr Anselm hat sich über die Jahre einiges an Lebenserfahrung und Allgemeinwissen angeeignet und ist dennoch tief geerdet in seinem «gmögigen» Wesen. Sein Leben würde gemächlich vor sich hinplätschern, drohte «seiner» Schule nicht ein bekanntes Dorfschulschicksal: Sie soll in einem Jahr geschlossen werden. Doch ganz kampflos – bekräftigt Anselm seiner Frau – würden sie denen das Feld nicht überlassen.
Das Wasser fliesst, die Zeit fliesst, das Leben fliesst. Und genauso fliesst auch der Text dieses 100seitigen Monologs. Mühelos folgt die Leserin den Erzählungen und Erinnerungsströmen des Protagonisten, der mit seiner passiv-gemächlichen Art und Sprache eher an einen Achtzig- als einen Sechzigjährigen erinnert.
Überraschen vermag das grüne Bändchen die geneigte Camenisch-Leserin vielleicht nicht, langweilig wird «Herr Anselm» dennoch nie: Gerne hört man ihm zu, wie er – gespickt mit dialektalen Ausdrücken – am Grab seiner Frau über sein Leben im Bergdorf reminisziert, während er sich einer banalen Tätigkeit wie dem Giessen der Blumen oder ihrem Anordnen in einer Vase widmet. Arno Camenisch, im bündnerischen Tavanasa am Vorderrhein aufgewachsen, kann in Sachen Erzählfluss so schnell keiner was vormachen. Oder in Herrn Anselms Worten: «Nicht für nichts ist der Kanton für sein Wasser bekannt.»
Arno Camenisch: Herr Anselm. Schupfart: Engeler, 2019.