Anmassung als Chance
Schreibend immer schön nett sein, mit Kritik nie konkret werden: das Leben als Künstler könnte so leicht sein. Doch Literatur, die aus Gleichgültigkeit oder Pflicht geschaffen wird, langweilt sich selbst zu Tode. Ein Intro zum Schwerpunkt «Zorn und Protest».
Literatur, die nicht aus Zorn heraus geschrieben wird, ist leblos – meine Behauptung schürt Unmut. Zu Recht! Denn ebenso kann lebendige Literatur aus Liebe entstehen. Hingegen kann Literatur, die aus Hass entsteht, erst gar nicht Literatur werden. Sie zersetzt sich vorher selbst. Hass bleibt bloss Hass.
Zorn und Liebe treiben mich zum Schreiben. Schreiben ist Befreiung und Selbstkasteiung zugleich. Dabei beherrsche ich keine Sprache. Während ich zu dichten glaube, führt die Sprache mich vor. Wer denkt, eine Sprache zu beherrschen, wird niemals erkennen, dass das Gegenteil der Fall ist. Erst wenn die Sprache einen gepackt hat, wird Literatur, die zwickt, die aufweckt, die protestiert, möglich. Lebendige Literatur schreibt sich wie von selbst.
Schreibend immer schön nett sein, mit Kritik nie konkret werden, so unverbindlich wie mutlos ausgetretene Pfade beschreiten: das Leben als Künstler könnte so leicht sein. Doch Literatur, die aus Gleichgültigkeit oder Pflicht geschaffen wird, langweilt sich selbst zu Tode.
«Schreiben ist Befreiung und Selbstkasteiung zugleich».
«Wie anmassend!», höre ich es aus meinem Hinterkopf rufen. Ja. Doch Anmassung ist Literatur immer – ich merke, wie ich von diesem Text vorgeführt werde, mich vorführen lasse. Nur zu. Es schreibt mir. Das Schreiben widerfährt mir. Man muss es geschehen lassen, um zu sehen, wo man hin kommt. Wüsste ich genau, wo ich schreibend hingelangen will, würde ich erst gar nicht zu schreiben beginnen. Ich suche den Übertritt. Schon kommt mir das oft missbrauchte Wort «Dringlichkeit» in den Sinn. Dringlichkeit ist zunächst immer nur Behauptung. Dringliche Literatur ist Literatur, die protestiert, die verärgert, weil sie etwas trifft, weil sie schmerzliche Zusammenhänge benennt, also auch politisch ist, doch ohne zu politisieren.
Lebendige Literatur muss frei sein, darf sich nie einer Ideologie verpflichten. Je undurchlässiger eine Ideologie ist, je mehr unterwirft sie das freie Wort. Aufrechte Literatur darf nur der Wahrheit verpflichtet sein. Die Wahrheit gibt es nicht. Literatur lebt von Widersprüchen. So wie der Mensch.
Oft schreibe ich auch aus einer Ohnmacht heraus. Aus Angst. Angst darüber, wie sich die Welt entwickelt. Dennoch will ich schreibend Hoffnungsfunken schlagen.
Wer keine Zweifel hat, denkt nicht. Wer Zweifel hat, aber schweigt, ist feige. Literatur, die keine Kritik an Konventionen übt, will nichts. Literatur, die sich selbst nicht in Frage stellt, befragt ihre sprachlichen Mittel nicht. Menschen, die etwa immer alles ganz «wunderbar» finden, möchte ich mit dem Synonymwörterbuch gerne nächstenliebend auf den Kopf schlagen.
Gibt es literarisch unverwechselbare Bücher, die niemanden gestört haben? Mir fällt keines ein.
Perfide ist, dass das, was neu geschrieben wird und noch nicht einzuordnen ist, oft von denen am meisten abgelehnt wird, die vergangene Avantgarden glühend und kritiklos verehren. Autoritätsgläubige, unselbständige Kanonleser.
Lebendige Literatur muss immer empathisch sein. Empathie muss aber nicht Sympathie bedeuten. Will man die Welt erkennen, muss man in die Abgründe sehen, in die eigenen wie in die fremden. Wer Empathie nur gegenüber Gleichdenkenden zeigt, hat den Begriff Empathie missverstanden. Selbstgerechtigkeit als Triumph!
Zu was Menschen schweigen, verrät oft mindestens so viel über sie, wie zu was sie sich, in welchem Ton oder in welcher ideologischen Färbung auch immer, äussern. So kann sich der Schreibende in jedem Fall nur verraten. Er kann sich nicht verstecken.
Zum Beispiel stelle ich gerade fest, dass dieser Text auch eine Peinlichkeit ist. Wo hat er mich nur hingeführt? Vielleicht geht es mir in diesen Zeilen nicht zuletzt auch darum, mir meine eigene Lächerlichkeit vor Augen zu führen, vor Augen führen zu lassen.
Natürlich wäre ich lieber eine verkehrsberuhigte, leblose Begegnungszone, durch die ein datensammelndes Publibike fährt und ruft: «Aufwertung! Aufwertung! Bis alles Subversive zur Strecke gebracht worden ist!» – Woher kam nun dieser Satz? Noch immer: es schreibt mir.
An der Stelle ploppt die Frage auf: Überschätzen sich Schreibende nicht anhaltend selbst? Was kann die Literatur schon verhindern? Etwa Bomben oder das erneute Aufleben des Faschismus?
Nein, aber verlöre ich den Glauben an die Kraft der Literatur gänzlich, ich verlöre den Glauben an den Menschen. Sicher, wenn wir Menschen uns alle für nichts Besonderes hielten, der Weltfrieden würde ausbrechen und es bräuchte folglich auch keine Literatur mehr. Da dies aber bis zum Ende der Menschheit bedauerlicherweise nicht der Fall sein wird, braucht es weiter Literatur, die widersteht. Für die, die widerstehen. Deshalb schreibt es mir weiter. Während sich die Faust in meinem Sack zusehends löst. Vorläufig. Immerhin. Anmassung als Chance.