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Bettina Wohlfender:
«Das Observatorium»

 

Birke und die Ich-Erzählerin leben auf einem Beobachtungsposten am Fuss eines Vulkans. Sie messen, sie studieren, sie durchstreifen die Landschaft und nehmen Proben. Sollte der Vulkan erwachen, so wären sie diejenigen, die es als erste bemerkten. Ihre Messungen würden den bevorstehenden Ausbruch anzeigen, ihre Beobachtungen den Alarm auslösen. Doch: nichts passiert. Der Vulkan schläft. Deshalb haben Birke und die Ich-Erzählerin den Gartentisch und die Gartenstühle vom Dachboden des Observatoriums geholt, sich mit Mütze und hochgeklapptem Kragen an einem warmen Februartag nach draussen gesetzt. Sie warten, und «Birke zählt die Jahre, die Monate und die Tage». In diesem Zustand des Wartens beginnt die Welt zu verschwimmen. Der Blick der beiden Frauen verliert an Schärfe, ihre Wahrnehmungen lassen sich nicht mehr genau einordnen. Und bald steht die Frage im Raum: Ist es der Vulkan, der die Erde zittern lässt – oder zittern die beiden Frauen selbst?

Im Debüt der 33jährigen Bettina Wohlfender könnte alles eben auch andersherum sein. Das In-der-Schwebe-Sein erzeugt dabei ein zunehmendes Gefühl von Anspannung, während die karge Vulkanwelt äusserlich unscheinbar und unverändert daliegt, brodelt es irgendwo tief unten. Es ist die bewusste Sprache, die mich anzieht. Ihr Rhythmus und Klang entwickelt einen Sog, dem ich mich nicht entziehen kann. Wenn Birke beispielsweise Bilder umhängt: «Sie beginnt alles umzuhängen, neu zu hängen. Kleine Verschiebungen, durchbrochene Gewohnheiten. Vom Besucherraum in die Küche: Der Vulkan von innen. Von der Küche ins Arbeitszimmer: Ohne Titel. Vom Arbeitszimmer in den -Besucherraum: Le Marin. Neben Le Marin:  der Fuchs.»

Mit dem stillen Warten tauchen aber auch immer mehr Fragen auf: Wie sind die beiden in dieses einsame Observatorium gekommen? Was wird aus ihnen werden? Wollen sie ewig auf den Vulkanausbruch warten? Urplötzlich läuft dann einer aus dem nächsten Dorf auf den Krater zu und gräbt Furchen in die Erde. Wie die Borkenkäfer, von denen Birke erklärt, dass man ihre Art an den Mustern, die sie in die Rinde fressen, erkennen könne. Der Gräber, wie man ihn nennt, erzählt vom letzten Ausbruch des Vulkans, von der Flucht vor Asche, Staub und Feuer – und wie anders alles aussah, als er wieder ins Dorf zurückkehrte. Und wir erfahren von Birkes Grossvater, einem Wanderfoto-grafen. Sie kennt ihn nur aus Erzählungen. Er war ein Ruheloser, ging immer wieder weg und kam eines Tages nicht mehr zurück. Birke scheint seine Ruhelosigkeit geerbt zu haben. Während der Grossvater Fossile fotografierte und sich wünschte, selbst ein Fossil zu werden, um Halt zu bekommen in dieser endgültigen steinernen Form, versucht Birke verzweifelt ihre Wurzeln in das harte Vulkangestein zu treiben. Sie will ankommen, jemand sein.

Nach 132 Seiten tauchen wir auf aus der Vulkanlandschaft. Benebelt, als wären wir selbst den giftigen Dämpfen und Gasen ausgesetzt gewesen. Ja, an manchen Stellen scheitert der lyrische Anspruch am gegenwärtigen Repertoire der Autorin, die noch zu deutlich klassische Adoleszenz- und Lebensfragen platziert. Und nein, «Das Observatorium» ist nicht «Dante’s Peak». Nichts explodiert. Aber auch wenn der grosse Ausbruch ausbleibt: Erschütterungen in der Tiefe registriert der innere Seismograph bei der Lektüre ständig. Bettina Wohlfenders Roman ist ein Abenteuer, das in eine faszinierende Welt entführt. Ein Wagnis, auf das einzulassen sich lohnt.

Bettina Wohlfender: Das Observatorium. Salzburg/Wien/Berlin: Müry Salzmann, 2014.

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