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Blick über den Bilderrand – Ein Comicspaziergang durch die Schweiz

Die Schweizer Comiclandschaft ist ihrer geographischen Schwester
nicht unähnlich: Flacher, als man es erwartet – aber wenn es raufgeht,
dann ziemlich weit und steil.

Blick über den Bilderrand – Ein Comicspaziergang durch die Schweiz
Thomas Ott: Seite aus «10», erschienen in der Edition Moderne. Jerzovskaja: Bildstrecke aus dem in der Entstehung befindlichen Buch «Universum».

Der Grat zwischen Laie und Kenner verläuft entlang der Infantilisierung von Comics. Würde ich behaupten: «Klar. Literatur ist schon toll; hab ich als Kind super gerne gelesen. ‹Pippi Langstrumpf›, ‹Die 3 Fragezeichen› und so weiter. Aber mal ehrlich, 90 Prozent davon ist schon Schund, oder?», ich bekäme gleich einen auf den Deckel. Wer aber bei Comics nur «Mickey Mouse» und «Asterix und Obelix» zu nennen weiss, der tut eigentlich nichts anderes. Und wahr ist: Die Hemingways, Houellebecqs und Dostojewskis des Comics tragen bloss andere Namen, nämlich Moebius, Baru, Satrapi, Sfar usw.

Nur langsam wächst die Erkenntnis im Bewusstsein des helvetischen «Otto Normallesers», dass Comics genauso anspruchsvoll sein können wie andere Formen des Geschichtenerzählens; einigen fällt sogar auf, dass neuerlich immer mehr Oscar-prämierte oder Cannes-Pälmchen-honorierte Filme («Road to Perdition», «La vie d’Adèle») auf den gleichnamigen Comics basieren. Das Klischee aber, Comics seien «irgendwie doch» Kinderkram, es hält sich zäher als der Winter 2012/13.

Was tun für den Comic?

Erfreulicherweise sind Comics seit einigen Jahren im Feuilleton angekommen. Leider geht dies oft einher mit einem kryptischen Intellektualismus einiger Kulturmagazine, der Comics derart stilisiert, dass selbst der Autor sein eigenes Werk nicht mehr versteht. Wahrscheinlich rührt das noch vom Schamgefühl aus früheren Zeiten, als man sich noch mit hochrotem Kopf rechtfertigen musste, wenn man beim Comiclesen erwischt wurde. Der Impuls, für den Comic «ernsten» Boden auf dem Gebiet der kultivierten Gesellschaft gewinnen zu müssen, erreicht in seiner Überstilisierung genau das Gegenteil: er macht die Comics eher unzugänglich.

Auf halbem Weg zwischen Verlagsmarketing und Feuilleton trifft man neuerdings den Begriff der «Graphic Novel». Offenbar muss man den Comic «intellektuell aufbrezeln», um ihn salonfähig zu machen. Für mich als Zeichner und Mitherausgeber eines Comicmagazins ist das die ärgerlichste Elitisierungsstrategie. Denn die Distanzierung zum Medium Comic sorgt nicht für eine Aufwertung der «Graphic Novel», sondern letztlich für eine Abwertung aller anderen Comicgenres.

Ich kenne ehrlich gesagt im Vokabular der Kulturlandschaft nichts Vergleichbares: Ein Musikstück ist ein Musikstück, egal ob von Bohlen oder Brahms; ein Film ist ein Film, gleich ob «Dumm und Dümmer» oder «Die Geschichte vom weinenden Kamel»; Theater ist Theater, schnurz ob «Hamlet» oder «Lotte spielt Lotto», und ein Buch ist ein Buch, «50 Shades of Grey» hin oder «Der Zauberberg» her. Und ein Comic ist ein Comic, punktum.

Aufbruchsstimmung?

Nötig ist die Anbiederung ans Feuilleton sowieso nicht. Schauen wir kurz nach Norden: In Deutschland geht man mit Comics mittlerweile unbefangener um. Dies liegt sicherlich auch daran, dass man sich gegenüber kommerzieller Unterhaltung offener zeigt als hierzulande. Ausserdem erleben Comics einen Aufschwung dank eines bestimmten Genres, das sich hervorragend für diese Art des Geschichtenerzählens eignet: die Autobiographie. Zeichner wie Mawil («Wir können ja Freunde bleiben») oder Flix («Held») haben aus ihrem Leben gezeichnet, waren dabei ehrlich, haben übertrieben oder überspitzt und manchmal sogar dreist dazugedichtet. Man erhielt aber von diesen Künstlern nicht nur gute Stories, sondern auch im wahrsten Sinne des Wortes bildliche Darstellungen ihres Innenlebens. Das ist etwas, was in dieser Form nur der Comic kann.

Man sollte meinen, dieser Trend müsste auch in die Schweiz herüberschwappen. Tut er auch, aber leider nur tröpfchenweise. Gibt man in der Deutschschweiz heute an, dass man mit seiner Kunst unterhalten will, ernst genommen werden und dazu auch noch gerne kommerzielle Erfolge feiern möchte, erscheint das fast, als wolle man sich auch gleich noch zum Kaiser von China krönen. Das Welschland ist uns Deutschschweizern diesbezüglich mehrere Schritte voraus: Dort ist die Comicszene dank der Nähe zu Frankreich, wo das Medium traditionell verehrt wird, viel akzeptierter – an Zeichnern wie Derib («Buddy Longway», «Yakari»), Cosey («Jonathan») und Zep («Titeuf») lässt sich das eindrücklich illustrieren. Auch im Tessin erhellt der eine oder andere Comic aus Italien, wo ebenfalls eine grössere Bewunderung für die neunte Kunst existiert (nicht nur Umberto Eco ist ein absoluter Comicfan), die tiefen Täler.

Aufbruchsstimmung!

Auch zwischen Bern und Kreuzlingen geht es aber aufwärts, keine Frage. Machen wir uns also auf einen Spaziergang. Und keine Angst, er ist nicht zu lang und auch nicht besonders anstrengend. Eine Beginnerstrecke sozusagen, die hoffentlich Lust und Mut für waghalsigere Routen macht.

Starten wir in Liestal, mit einem Blickfang: Enrico Marini («Stern der Wüste», «Der Adler Roms»). Beste Unterhaltung in Blockbustermanier. Hierzulande kaum bekannt, geniesst er in Frankreich den Status eines Superstars. War sein Strich zu Beginn deutlich von japanischen Zeichnern inspiriert, fand er schon bald einen eigenen Stil, an dem man sich kaum sattsehen kann. Mittlerweile ist er auch Autor seiner Comics, was ihn hierzulande zu einem Ausnahmekünstler macht.

Auf nach Zürich, wo wir uns länger aufhalten werden. Dort betreten wir als erstes den steinigen Weg des Andy Fischli («Der Sinn», «Ein Eingeklemmtes»). Seine skurrilen Geschichten, meist in scharfem Schwarz-Weiss, sind so kratzbürstig wie die Zungen streunender Katzen. Er verteidigt seine Eigenständigkeit, indem er seine Comics ausschliesslich im Verlag seiner Partnerin Marianne Studer (Picaverlag) veröffentlicht.

Auf einem ähnlichen Pfad begegnen wir Alex McCartney («Herr Hummel», «Luderlek der Mörder»). Seine Figur des biederen Herrn Hummel ist wunderbar beobachtet. Er fängt die bizarren Kleinigkeiten des Alltags mit einem Netz aus krakelig charmanten Strichen ein.

Machen wir einen kleinen Abstecher ins Schattenreich des Thomas Ott («R.I.P.», «–Unplugged», «Hellville»). Mit seiner Schabkartontechnik entlockt er dem Leser seit Jahren staunendes Grausen. Er kratzt Ängste aus dem Papier, die HR Gigers Albtraum-phantasien wie Schnappschüsse aus Seifenopern wirken lassen.

Und da dampft auch noch Jerzovskaja, das AKW der Schweizer Comicszene («Fussballhelden»): Ich kenne wenige Künstler mit einer vergleichbaren Energie. Mit seinen «Fussballhelden»-Büchern, die er im Eigenverlag herausbringt, ist er international erfolgreich. So überbordend seine Leidenschaft auch ist, die Geschichten, die er erzählt, gewähren ungewöhnlich tiefe und sensible Einblicke in seine Persönlichkeit.

Bevor wir Zürich verlassen, bleiben wir kurz stehen im Gedenken an Mike Van Audenhove («Zürich by Mike»). Der leider viel zu früh verstorbene Zeichner hat mit seinen Zürcher Anekdoten viele verkniffene Lacher geerntet. Nur wenige können aberwitzige Alltagsbanalitäten so gut einfangen, wie er es konnte. Sein Verlag Edition Moderne ist ebenfalls ein wunderbares Beispiel dafür, wie unterhaltende und anspruchsvolle Comics unter einen Hut zu bringen sind – ohne dabei ins Gefällige zu kippen.

Verlassen wir nun die Limmat-Metropole und machen einen kleinen Sprung nach Winterthur, wo wir kurz bei Felix Schaad & Claude Jaermann («Zwicky», «EVA») verschnaufen. Einfach die richtige Zwischenverpflegung, um sich aufzuheitern und unser kleines Ganzes, diese Schweiz, doch nicht so ernst zu nehmen. Die Zielscheibe des Schweizer Bürgertums kann noch so weit weg stehen – die beiden treffen stets ins Schwarze.

Begeben wir uns nun richtig ins Ländliche, nach Mogelsberg zu David Boller («Tell», «Ewiger Himmel»). Mit ihm können wir weit blicken. Früh in die USA ausgewandert, um sein Comicglück zu finden, kehrte er vor ein paar Jahren wieder in die Schweiz zurück und lebt nun hier den amerikanischen Traum. Deutlich von Superheldencomics inspiriert, baut er langsam an seinem Verlagsschloss Virtual Graphics, für dessen Unabhängigkeit er jederzeit in den Kampf ziehen würde.

Im Tessin begegnen wir der grauen Eminenz Hannes Binder («Der Chinese», s. Seite 12), bekannt vor allem wegen seiner Comicadaptionen von Friedrich Glauser. Nicht umsonst nennt man den Comic auch den kleinen Bruder des Films: Binders Geschichten sind gute Beispiele dafür.

Nun bleiben Sie bitte kurz stehen. Ich möchte mich verabschieden, muss ein Magazin produzieren. Aber: von hier aus dürfen Sie sich gerne selber auf Erkundungstour machen. Da sind, typischfür die Schweizer Landschaft, ob Comic oder nicht, unzählige Wege, die in Höhen und Tiefen führen. Manche sind düster, andere bunt, einige steinig und viele überraschend. Aber sie alle führen in die richtige Richtung. Ich garantiere Ihnen gute Aussichten.

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