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Das Leben mit Katastrophen

Das Leben mit Katastrophen
Nora Gomringer, photographiert von Judith Kinitz.

Hoffentlich weit von teuflisch und nah an dreifaltig. Ich hatte mir zu Weihnachten – (heftiges, lautstarkes, mit Drohungen verbundenes) Wünschen hilft! – Verschiedenes unter den Baum legen lassen, was mich in den ersten Wochen des Jahres beschäftigt hat. So bin ich zum Beispiel knietief mit den vergessenen Opfern der Katrina-Sturm-und-Flut-Katastrophe durch den ältesten, ärmsten Stadtteil von New Orleans ge­watet: Treme. In Treme, der TV-Serie von David Simon und Eric Overmyer, und dem gleichnamigen Stadtteil regieren die Gesetze der Musik: das Vorspiel, der Takt (auch die vielen Taktlosigkeiten), die Achtung voreinander und das Zwischenspiel, die Pause, die Achtelnoten der Panik und Befürchtungen. Und das Geld oder vielmehr sein Fehlen. Erst dachte ich, dass die 18 Folgen umspannende Serie «zu schwarz» wäre, um von «zu weiss» verstanden zu werden. Aber das Gefühl schleicht sich aus, wenn man nur dabei bleibt und seinen Ohren (beim Ansehen der Originalfassung!) traut. Musik in Funk und Fernsehen, gar die Darstellung von Musikern im Spielfilm hat oft etwas Anbiederndes. In Treme jedoch gelingt es, dass ich mich als Zuschauer wie ein Passant fühle, der in dem im Katastrophenzustand verharrenden Louisiana beste Musik von Cajun über Jazz bis hin zu Country quasi auf der Strasse zu hören ­bekommt. Die Ohren werden verwöhnt und herausgefordert wie nur selten.

Mit meinen so eingängig befüllten Ohren kann ich erstaunlicherweise besser ­lesen. Diese Aufgewecktheit der Sinne kommt da sehr gelegen, wo man Bild und Text verbunden sieht und aus beiden eine Schwingung ableiten will. Der Autor mit dem Künstlernamen David B. hat 1996 und 1999 erstmals zwei autobiographische Graphic Novels vorgelegt, die bei ihrem Erscheinen für Beachtung sorgten: Die heilige Krankheit – Geister und Die heilige Krankheit – Schatten (beide aufgelegt bei Edition Moderne, Zürich). Ein grosses, trauriges Lamento ist die Geschichte der Familie, die sich auf­zulösen droht in der Sorge um den ältesten Sohn (David B.s Bruder), der an Epilepsie ­leidet, sich ergibt in seine Krankheit, dennoch zahllose und irre Therapien mitmacht und Medikamente schluckt, die seine Persönlichkeit grundsätzlich verändern. Die extrem umfangreiche, ungemein detailreiche Schilderung, die gleichzeitig ein ­Gesellschaftsbild der 70er Jahre in den New-Age-Szenen Frankreichs liefert, ­bedrückt und lässt alles wie in Moll erscheinen.

Das Musikalische ist in den Zeichnungen David B.s, der Schwärze herrschen lässt, selbst wenn Kontraste die Geschichte durchziehen. Wie Zeichnungen von ­Aborigines oder Wimmelbilder sehen die Schautafeln seiner Kindheit aus, mit denen er sich ­erklärt, die er anstatt der Verzweiflung aufzeigen lässt, was mit ihm und seiner Familie geschehen ist, als die Absichten gut, die Hoffnung aber schon korrumpiert war. Hier wie in Treme werden Katastrophen beschrieben, das Leben mit ihren ­Folgen und die Aufhebung aller Illusionen, nicht aber der Träume. Und träumen sollten wir… am ­Anfang jedes neuen Jahres.

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