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Clemens J. Setz: «Bot. Gespräch ohne Autor»

Clemens J. Setz: «Bot. Gespräch ohne Autor»

Buch des Monats

Ecstasy für die Sprache

Es hätte, so der Autor im Vorwort, ein Gespräch mit Suhrkamp-Lektorin Angelika Klammer werden sollen. Da die Antworten nicht adrett und bündig genug ausfallen, richtet diese ihre Fragen stattdessen an Setz’ «ausgelagerte Seele», einen digitalen Zettelkasten gefüllt mit Reflexionen, Kurzberichten und Fundstücken. Mit künstlicher Intelligenz hat das wenig zu tun, auch wenn ein Suchalgorithmus und nicht eine «menschliche Finderintelligenz» den Dialog strukturiert oder, wie Setz es ausdrückt, die Ergebnisse verwässert. Macht ja nichts, bloss: der Inhalt würde auch ohne Feigenblatt-Schlagwort überzeugen.

Welches Ergebnis, sollte man aber doch fragen, will Setz nicht «verwässert» sehen? Denn mit diesem puristischen Anspruch ist er, trotz Buchuntertitel, der das Gegenteil suggeriert, als Autor durch und durch anwesend. Will er über das Unverhoffte, Zufall genannt, Wirklichkeit vorführen? Ein ausdrücklicher Hinweis darauf ist die zufällig entstandene Lyrik, die, von Setz gesammelt, der Bot auf Klammers Anfrage nach der «kostbaren Kategorie absichts­loser Kunst» ausspuckt. Ähnliche Trouvaillen in Form von kuriosen Wissenshäppchen und Ausschnitten aus Klassikern, Song­texten oder Listen, die der Autor literarisch revitalisiert hat, leben ebenfalls in erster Linie von ihrer originellen Rekontextualisierung.

Deutlicher zeigt sich Setz’ Gestaltungswille in Kurz­texten wie «Kataloge des Unheimlichen», dem Nachruf auf eine Katze, in Bildcollagen, Plotanrissen oder vergleichsweise konservativ gefassten Kindheitserinnerungen und Tagebucheinträgen. Der Clemens Setz, der in ihnen auftritt, ist ein schlafloser, existentiell unentspannter Synästhet, «der selbst Demütigungen in verschiedenen Farben erlebt», sich auf humoristische Weise mit wechselnden Umgebungen inkompatibel erweist und sich gängigen Genussschemata widersetzt. Anstatt «snow monkeys» beim Bad in der heissen Quelle zu bestaunen, sieht er sie mit den Augen eines Busfahrers, der des Spektakels schon vor Jahren überdrüssig wurde. Stonehenge sind für ihn ein paar Steine, um die man «drumrum» geht, für eine japanische Tempelanlage habe er «irgendwie nicht das passende Betriebssystem». Während er hindurchgeht, denkt er an «Schlammwrestling oder das Gesicht von Helmut Qualtinger auf einem T-Shirt».

Neben die assoziative, analogische tritt dabei immer auch eine virtuelle Aneignung der Welt: Setz karriolt gern mit Google Street View durch ferne Städte, wartet auf «das Update, den Aufgang der Sonne» oder nennt ein Baugerüst am Dom dessen «Headset».

Wo er auch ist, er verpasst sich und erklärt das Asynchrone zum Kunst- und Lebensprinzip. Das «‹Ich bin da, auf der Erde›, das einem manchmal die Glieder gerade richtet in der Einöde» – als literarisches Genre hat es ihm Handke kaputtgemacht. Wo Handke, in «Das Gewicht der Welt», sich persönlich in den Fokus nimmt, um an seiner eigenen Natur die kontingente Schönheit der Welt sichtbar zu machen, liegt Setz’ Fokus auf den Dingen selbst. «Das Gewicht der Welt» – Setz nennt es in einer Liste von Werken, «aus denen man Deutsch lernt». Dass sein eigenes narratives Programm gerade auch von jenem Moment lebt, in dem der Autor als Souverän suspendiert wird, zeigt er auch in dieser Liste, wenn er Google Translate anführt, für ihn «eine Art Ecstasy für das eigene Deutsch, wenn sonst gar nichts zündet». Wo Handke sich zum unschuldigen Schauen erziehen wollte und so eine Poesie des naiven Blickes schuf, hält sich Setz nicht lange mit dem Schauen auf und geht – in der von Tarkowskij geprägten Unterscheidung, die Handke adaptierte – direkt zum Sehen über, zum assoziativen Arrangement.

Im Frage-Antwort-Arrangement dieses Buches offeriert der Bot Setz’ Sätze als kryptische Parabeln: «Sie zitieren öfters Dantes ‹Nel mezzo del cammin› – was verbinden Sie mit der Mitte des Lebens?» «Ein in den Armen seiner Mutter liegendes Baby schaute, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, einem dunkelblauen Auto beim langsamen Einparken zu.» Den oft erratisch anmutenden Output des Bots mag man goutieren oder nicht; so gut er es halt vermag, unterstützt er den Autor dabei, sich selbst zu umzingeln.

Clemens J. Setz: «Bot. Gespräch ohne Autor». Berlin: Suhrkamp, 2018.

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