Holz- und Holzkopfverarbeitung
Umberto Eco: Nullnummer.
Übersetzt von Burkhart Kroeber.
München: Hanser, 2015.
Italien, 1992: die Republik, wie man sie kannte, geht unter. Mafiarichter werden in die Luft gesprengt. Ein Bauunternehmer verspricht die «Zeitenwende» und der Financier Commendatore Vimercate baut eine Zeitung namens «Domani» auf. Der Journalist Colonna soll sie leiten. Einziger Inhalt der Zeitung: das Sammeln schmutziger Wäsche der guten Gesellschaft. Durch das gezielte Lancieren von Gerüchten verspricht sich der Commendatore seinen Aufstieg in jene Kreise, die er mit der Zeitung vor sich hertreiben will.
Eine Redaktion wird zusammengestellt. Sie soll eine Nullnummer produzieren. Ob die Zeitung je erscheint, ist egal: sie ist eine Drohkulisse, Commendatores potenzielle Geheimwaffe. Was keiner weiss: Redaktionsleiter Colonna lanciert nicht nur die Zeitung, sondern bosselt im Hintergrund auch gleich noch an einem Enthüllungsbuch über ihre Entstehung. Kommt die Zeitung raus, gut – kommt sie nicht raus, auch gut, dann kommt’s eben zur Enthüllung ihrer eigenen schmutzigen Wäsche.
«Nullnummer» wartet mit unschmeichelhaften Einblicken in die Medien auf. Da sind etwa jene Passagen, in denen die Journalisten in der subversiven direkten Rede geschult werden. Es gilt: «An Meinungen wird in ‹Domani› kein Mangel herrschen, und sie werden auch als solche gekennzeichnet sein, aber wie beweist man, dass in anderen Artikeln nur Tatsachen berichtet werden?» Das Anführungszeichen als Tatsachen und Meinungen überblendende Kraft. Nebst amüsanten, leider etwas lehrbuchhaft-lieblos in allzu kurze Passagen gepferchten Einsichten ins Getriebe der holz- und holzkopfverarbeitenden Industrie wartet «Nullnummer» mit einer Obsession auf: Verschwörungstheorien. Eco entwirft einen fiebrigen Reigen, der zwischen Mussolini, «stay behind»-Organisationen und Geheimlogen mit allem aufwartet, was ein Krimi mit Bestsellerambitionen bieten muss.
Leider gefällt sich Umberto Eco zu sehr in der Rolle des Causeurs, der seinen Plot mal mehr, mal weniger geistreich zum Besten gibt. Das Ganze ist episodenhaft und greift zu wenig ineinander. Laut Verlag handelt es sich um «eine rasante Kriminalgeschichte». Denkste: «Nullnummer» hat seine stärksten Seiten dort, wo es sich ganz aus dem anstrengenden Zustandebringen eines ansprechenden, aber doch anspruchsvollen Krimis ausklinkt und zum plappernden Stück über Zersetzung und Zersetzungskraft der Medien wird. Klar, auch diese Passagen überzeugen nur, wenn man sich noch nie mit jener barfuss über glühende Kohlenteppiche tänzelnden Form der Medienkritik befasst hat, die überall nur Verdummung, Verflachung und Verkauf ortet und die sich hinterher immer so gern mit den erlittenen Verbrennungen vermarktet. Aber sie gefallen.
Eco zeigt gekonnt und nicht unelegant, was geschieht, wenn es in einem Mediensystem keine Stoppregeln des Misstrauens mehr gibt, wenn jedes Zeichen ebenso gut für wie gegen etwas spricht. Wenn es keine beruhigenden Gewissheiten mehr gibt. Wenn Fakt, Fiktion und Meinung ununterscheidbar werden. Was spricht dagegen, dass Mussolini erst Ende der sechziger Jahre im Exil starb? Was spricht dagegen, dass die Serie verheerender Attentate Ende der 60er zusammenhängt mit einem Staatsstreich, der ihn zurück an die Macht bringen sollte? Nichts oder alles spricht dagegen oder dafür. Die Wahrheit wächst nicht an Bäumen, nicht in Leitartikeln und auch nicht in den Blogs der Verschwörungs-Synästhetiker. Sie muss als je individuelles Wahrnehmungsphänomen in mühseliger Kleinarbeit von jedem einzelnen für sich selbst eingerichtet werden. Das ist das einzige Mittel gegen die rasende Hilflosigkeit, die mit der Informationsflut einhergeht. Das, so viel ist sicher, zeigt das Buch auf unterhaltsame Weise.
Gregor Szyndler
ist Schriftsteller, Kulturjournalist und Volontär dieser Zeitschrift. Er lebt in Basel.