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Jürg Beeler: «In fremden Zimmern»

Jürg Beeler:
«In fremden Zimmern»

 

Lange musste man auf neue Gedichte von Jürg Beeler warten. 1986 debütierte er mit «Tag, Steinfaust, Maulschelle, Tag». Seither sind von ihm sechs Romane erschienen, alle mit so poetischen Titeln wie «Die Liebe, sagte Stradivari», «Das Gewicht einer Nacht» oder «Der Mann, der Balzacs Romane schrieb». Nun, mehr als dreissig Jahre später, liegt ein neuer Gedichtband vor. Gleich im ersten Gedicht finden sich die Zeilen: «Der Himmel hing dir / immer zu tief, / selbst auf dem Land / bekamst du nie genug Luft.»

«Flucht», «Bewegung», «Die Lichter im Kurpark» und «Schatten» heissen die vier Kapitel, in welche die 50 Gedichte gegliedert sind. Die Titel entsprechen der Stimmung im ganzen Buch: Es ist ein Gefühl des Immer-Noch, des Weggehens und des Danach, des Ausharrens in «faltigem» Licht bei stillstehender Zeit: «Wie es später wird, / die Zeit stehen bleibt, / wie du sitzst, jeden Tag absitzst, / die Nacht übers Land zieht, / wie es später wird, // wie du einen Schatten wirfst, / einen letzten.»

Während Autoren wie Cormac McCarthy, Heinz Helle oder Thomas von Steinaecker ihre Protagonisten durch reale Postapokalypsen schicken, betritt man bei Jürg Beeler ein Gelände «nördlich von dir», in dem selbst die Worte eine Unruhe ergriffen hat, «als fürchteten sie um ihr Überleben». Anlass zu Hoffnung gibt es kaum. «Keine Kirschbäume und keine Hügel», heisst es an einer Stelle, «nur der Tisch und dieser Winter, / (…) / nur dieser Rentner, der sich bückt / und eine Wollmütze aufhebt, / nur dieser Rentner in diesem Gedicht, / das weiss ist und alt.» In «Exil» kehrt der Erzähler der Zeit den Rücken, «um besser zu hören, / was von ihr bleibt». Ja, was bleibt? Der Exilant steht vor der Notre-Dame und schaut auf: «Ganz oben reitet / ein Gnom die Jahrhunderte, / in den Klauen / hält er die Fäden des Lichts.»

Ob in Mexico City, auf einem Pariser Boulevard oder im Barlach-Museum in Hamburg, stets scheint zu gelten: «Am Endbahnhof steigst du / mit schwerem Gepäck aus dem Satz.» Den Worten ist nur noch zu trauen, wenn sie aus Schnee sind («Sappho I»). Im gleichen Gedicht wird ein weiterer Kahlschlag thematisiert: «Wer noch erriete den Baumbestand / zwischen den Zeilen, / wer noch erinnerte sich, wie wir am Tisch sassen / und jeder die Geschichte des andern erzählte.» In «Predigt» schliesslich die ganze Fulminanz der Verdammnis: «Nun wird dir die Haut abgezogen / bis in alle Ewigkeit, / Amen.» Wie Schemen am Fluss der Unterwelt treten Dante und Hölderlin auf – letzterer mit Hörgerät, was ihm aber wenig nützt, weil die verstorbenen Freunde sowieso schweigen –, ebenso wie Georg Trakl und Paul Celan, an den sich mehrere Anklänge finden.

Jürg Beeler beschreibt eine Dystopie vor der Folie eines Paradieses, in das die neun Höllenkreise Dantes ihre Ordnung gebracht haben. Er tut dies mit schlichten Gedichten voller Sprach-Ernst. Da und dort hätte vielleicht ein Schuss Ironie die Kontraste noch erhöht. Auf jeden Fall zeigt «In fremden Zimmern» an den besten Stellen, dass auch leisere poetische Töne nichts von ihrer Suggestionskraft eingebüsst haben – selbst im Danach nicht.

 Jürg Beeler: In fremden Zimmern. Zürich: Wolfbach, 2017.

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