Nicht ganz dichte Kunst
Bieten 140 Zeichen Platz für Poesie? Die interaktive Schnellkommunikation steht im Verdacht, die Sprache zu verarmen. Das muss nicht sein, sagt Eric Jarosinski: Reduziert man sie maximal, verdichten sich die Zeichen zu ganz eigener Kunst – im besten Fall.
Twitter hat mein Leben neu gestaltet. Genauer gesagt: zerstört. Zum Glück. Denn ich, Assistenzprofessor der Germanistik an einer renommierten amerikanischen Universität, war unglücklich. Ein Buch wurde lange von mir erwartet, leistete aber jahrelang Widerstand.
Es folgten die verzweifelte Suche nach dem «What the Fuck» – und der Fund des «Whatever».Kurz gesagt: die erforderliche wissenschaftliche Veröffentlichung ging nach der Entdeckung von Twitter in knapp 28 000 kleine Tweets auf. Mal witzig. Mal weinerlich. Mal weinerwitzig. Alles in allem: 600 Seiten über Themen wie die Kunst, die Verzweiflung und die Kunst der gepflegten Verzweiflung. Als gescheiterter Intellektueller, der kurz vor der Arbeitslosigkeit steht, bin ich immer noch unglücklich. Das ist meine Art. Aber anders unglücklich. Glücklicher unglücklich. Das ist meine Kunst.
20 gezwitscherte Thesen zur Würze der Kürze:
1. Kurze Rede. Langer Sinn.
2. Flaschenpost. Ohne Flasche. Meistens ohne Post.
3. Drei. Drei. [Pause.] Drei.
4. Der Tweet lebt. Vom Wiederspruch.
5. Denkbild = Bild + Denk. Nicht: Denk + Bild.
6. Stopp. Stopp.
7. Stopp.
8. Die Botschaft ist
das Medium.
9. Mehrwortsteuer.
10. Zwischen den Zeilen lesen. Zwischen den Zeichen schreiben.
11. Dichter. Denker. Kürzer.
12. Das Wort spielt nicht immer mit.
13. Das Abalphabetentum pflegen.
14. Die Sprache spricht. Leise. Vor sich hin.
15. Die Zeichen setzen sich. Fort. Ab. Aus.
16. Der Wendepunkt.
17. Dichtkunst. Vielleicht. Aber: Nicht ganz Kunst. Nicht ganz dicht.
18. Löschen.
19. Alles löschen.
20. Fast alles löschen.