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Adolf Muschg:   «Heimkehr nach Fukushima»

Adolf Muschg:
«Heimkehr nach Fukushima»

Die Katastrophe von Fukushima ist noch nicht überwunden, im Gegenteil. Auch wenn dies in Japan verdrängt wird. In Adolf Muschgs neuem Roman folgt der deutsche Schriftsteller Paul Neuhaus ungeachtet der Gefahren der Einladung eines befreundeten japanischen Paares in deren Heimat. Der ehemalige Architekt mit dem bedeutungsschwangeren Namen soll der erste einer Reihe von neuen Siedlern im evakuierten Gebiet werden. Der Staat möchte die weniger stark verstrahlten Gebiete um den Kernreaktor wieder besiedeln lassen und dieses Projekt mit einer Vorzeigekünstler-siedlung vorantreiben.

Neuhaus offenbart sich als Liebhaber und Kenner von Adalbert Stifter. Seine Reiselektüre, die «Nachkommenschaften», wird zur Spiegelung der eigenen Erlebnisse in Japan. Oft wird einer Situation in Japan eine entsprechende Szene aus den «Nachkommenschaften» gegenübergestellt. Muschg gelingt eine be­merkenswerte Kombination von Stifters historischem Werk mit seinem eigenen Roman, der aktueller kaum sein könnte, nun da der erste offizielle Todesfall durch die Katastrophe bestätigt wurde. Er schildert eindrücklich die verlassenen japanischen Dörfer und die wenig erfolgreichen Bemühungen, den vergifteten Boden abzubauen.

In der Beschreibung, wie die Bevölkerung in der von der Havarie betroffenen Gegend mit der Situation umgeht, der Landschaft, die durch Säcke voll verstrahlter Erde gezeichnet ist, und der Ohnmacht der japanischen Regierung, die weiss, dass das Gebiet verstrahlt bleiben wird, dies aber nicht zugeben kann, liegt die grosse Stärke von Muschgs neuem Werk. Der Leser spürt die hoffnungslose Stimmung in der apokalyptisch anmutenden Region hautnah. Dagegen überzeugt die Figurenkonstellation eher weniger. Haftet dem japanischen Ehepaar Ken und Mitsuko – die beiden empfangen Paul Neuhaus in Japan – zu Beginn noch etwas Mysteriöses an, werden ihre Beweggründe allzu bald sehr absehbar. Weitgehend schleierhaft bleiben die biographischen Probleme und Selbstzweifel des Schriftstellers Neuhaus. Auch die in Trennung befindliche Beziehung zu seiner Lebenspartnerin Suzanne wird schwammig eingeführt und kommt später gar nicht mehr zur Sprache. So schafft Adolf Muschg mit Paul Neuhaus eine weitere gescheiterte Männerexistenz in fortgeschrittenem Alter, die sich dem Leser bis zum Schluss nicht recht erschliesst und nicht über eine zu Tode geschriebene literarische Figur hinauskommt. Durch die raffiniert eingewobenen Verbindungen mit dem Werk Stifters und die Schilderung der japanischen Ohnmacht nach der Katastrophe vermag das Buch trotzdem zu glänzen.

Adolf Muschg: «Heimkehr nach Fukushima». München: C.H. Beck, 2018.

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