«Herr Mezger, was ist ein guter erster Satz?»
Der erste Satz ist der wichtigste. Warum? Weil er für den wichtigsten gehalten wird.
Es gibt Wettbewerbe zum Thema, es gibt Erster-Satz-Experten, es gibt immer die eine Person in einer Kritikerrunde, die sagt: «Man muss sich allein schon den ersten Satz anschauen, da ist eigentlich schon alles drin!»
Und weil da bloss eigentlich alles drin ist, schreibt sich nichts so leicht wie ein erster Satz. All das Gewicht, all das Bedeutsame, das man hineinlegen kann. All die Versprechen. Und keines davon muss der Satz selbst einlösen. Oh, was habe ich schon erste Sätze geschrieben. Geniestreiche. Weltliteratur!
Der schlichte erste Satz: Es war Mittwoch.
Der überbordende: Wenngleich sich Kirian Papalopogos an jenem ersten Juni Neunzehnhundertdreiundsechzig noch nicht bewusst gewesen sein konnte, dass er einst, fünfundfünfzig Jahre später, jene alles verändernde Bekanntschaft machen würde mit dieser Dame, von der er nun hier an der Bushaltestelle Ecke Luisenplatz/Kantstrasse in wenigen Augenblicken aus Versehen angerempelt werden würde, so hatte er doch…
Der Metasatz: Anfangen soll es hier.
Die heimliche Überschrift: Nun war ihre Mutter also tot.
Als Leser ist mir der erste Satz herzlich egal. Meist verpasse ich ihn, denn die ersten drei Seiten des Buches bin ich ja sowieso erst mal damit beschäftigt, in Sprache, Thema und Geschichte hineinzufinden. Aber wer schreibt schon für solche Leser? Man schreibt für die Aufmerksamen, für die, die Ostereier finden und Schätze heben wollen, für Kritikerrunden, die nie auf den Gedanken kämen zu sagen: «Man muss sich allein schon den vierten Satz auf Seite siebenundneunzig anschauen, da ist eigentlich alles drin.»
Dabei entscheidet sich genau dort, auf Seite siebenundneunzig im vierten, fünften, sechsten Satz, ob der erste Satz gut ist oder nicht.
Denn wo der Einstieg sich damit begnügen darf, einzusteigen und Kommendes zu versprechen, und wo Schlusssätze den Lesenden noch ein Zückerchen auf den Nachhauseweg geben können, müssen all die Sätze dazwischen Gewicht und Inhalt nicht bloss behaupten oder ankünden, sondern – ja, wie mühsam! – haben.