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Virgilio Masciadri: «Allee ohne Laub»

Virgilio Masciadri:
«Allee ohne Laub»

 

Viel zu früh, im Alter von 50 Jahren, ist Virgilio Masciadri 2014 verstorben. Hinterlassen hat der gelernte Altphilologe ein beachtliches Werk: neben wissenschaftlichen Publikationen Gedichtbände, zwei Krimis, Übersetzungen sowie Libretti für Musiktheater. Als Herausgeber und Redaktionsleiter der Literaturzeitschrift «orte» prägte er das von Werner Bucher begründete Magazin ebenso, wie er als umsichtiger und kenntnisreicher Verlagsleiter und Lektor das Programm des «orte»-Verlages formte. Unter dem Titel «Allee ohne Laub» präsentiert Masciadris Freund und Redaktionskollege Erwin Messmer nun 65 unveröffentlichte Gedichte aus dem Nachlass, zusammen mit fünf Zeichnungen des Autors.

Gegliedert ist der Band, der die Jahre zwischen 1998 und 2013 umfasst, in vier Abteilungen. Deren Titel verweisen auf das biographische Spannungsverhältnis und das poetische Credo des aus Norditalien stammenden Masciadri: «Es blühn die Narzissen im Park Montsouris», «Südliche nördliche Tage», «Hoffen auf das Wort» und «Das Jahr beginnt jeden Tag neu». Nicht zufällig hebt der Band mit dem Gedicht «Causerie» an. In seinem Parlando-Ton kristallisiert sich der lyrische Kern dieses poetischen Spaziergängers. Es ist ein ruhiges, hochkonzentriertes Plaudern, freundlich und Mensch wie Natur zugewandt, dabei messerscharf in der Beobachtung. Da nähern sich in «Anzeichen für Frühling» Wiese und Wald farblich an «und / plötzlich vor deinen Füssen pfeil- / schnell quert eine Maus / den frisch gemergelten Weg». Da leuchtet an Allerseelen «in der nackten Wiese diese ro- / te Erdbeere». Da treibt im Wasser «eine tote Fliege / nicht für jeden ist / dasselbe ein / Wasser des Lebens».

Wie breit Masciadris Repertoire ausgelegt ist, zeigen auch gereimte Gedichte in volksliedhaftem Ton. Dass es sogar der «Finanzausgleich» in ein Gedicht schafft, zeugt von Schalk. Herrlich sein «Vergnügen am Stilbruch», «wenn man / auf der Rückseite eines / Gedichtbandes von E- / rika Burkart einen / Limerick dichtet». Virgilio Masciadri ist ein Meister der Zwischentöne. Der Disharmonie der Welt gönnt er, so scheint es, nur gelegentlich einen Bindestrich – der dann umso beredter ist.

Gegen Ende des Buches nehmen die dunkleren Töne zu. «Mit diesen Tagen», heisst es im letzten Gedicht des mit seiner Krankheit Kämpfenden, «kehrt auch die Traurigkeit wieder von der / Schelling einst sprach.» Alle Persönlichkeit, schrieb der deutsche Philosoph, ruhe auf einem dunklen Grund, dieser müsse auch «Grund der Erkenntnis» sein. So geht das Gedicht weiter: «Du wirst / jetzt nicht mehr verreisen die täglichen / Pflichten wirst du erfüllen das / Schwinden der Stunden / abzählen.» Und auf der gleichen Zeile, ohne Übergang und alle Bedeutungen ins Offene verweisend – als ob das Abzählen nicht gelte oder als ob es endgültig gelte –, führt Masciadri den Gedanken fort: «Langes / Warten ob nicht doch / einmal in der bläulichen / Abendkühle die Drähte der / Tramlinie zu / singen beginnen unter dem / Schritt eines En- / gels der vorübergeht.»

Virgilio Masciadri: Allee ohne Laub. Gedichte aus dem Nachlass. Hitzkirch: Edition Bücherlese, 2017.

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