Urs Augstburger:
«Als der Regen kam»
Mauro kehrt nach Jahren in seine Heimatstadt zurück, um sich um seine an Demenz erkrankte Mutter zu kümmern. Dass er diesem Treffen mit seiner Mutter in seiner Heimat eigentlich nicht gewachsen ist, merkt er erst am Eingang des Pflegeheims. Die Stadt wird für das traditionelle Jugendfest geschmückt, das zu Beginn der Sommerferien das Schuljahr beschliesst, die letzten Vorbereitungen werden getroffen und Erinnerungen brechen über Mauro herein, an seine Schulzeit, an seine Kindheit ohne Vater, die er mit der Mutter nicht mehr teilen kann – denn sie redet nur noch zusammenhanglos. Mauro entscheidet, sich der Situation zu stellen, beobachtet die Mutter genauer und erkennt, dass es eine Geschichte geben muss, die er nicht kennt, etwas, an das seine Mutter immer wieder denkt. In seinem alten Kinderzimmer macht er eine merkwürdige Entdeckung und beginnt, die Vergangenheit zu rekonstruieren.
Urs Augstburger führt uns in ein Schweizer Städtchen, das sich auf ein grosses Fest vorbereitet. Und er begibt sich selbst mit hinein. Er habe, so sagt er, anders als sonst «einfach losgeschrieben», sich alles ausgedacht, sich den Figuren über den Weg der Empathie genähert und erst hinterher mit Fachleuten nachrecherchiert – z.B. in bezug auf die Demenzerkrankung seiner Protagonistin. Vielleicht gelingt es Augstburger deshalb, den Ausschnitt auf die Welt, die er entwirft, so konsistent zu gestalten. Er entwickelt die Geschichte in wunderbaren Sätzen – die Freude auf das bevorstehende Fest, die Aufregung der Kinder, der Druck der Traditionen und die Unsicherheit Mauros sind spürbar, aufmerksam beobachtet der Erzähler seine Figuren. «Als der Regen kam» ist eine hintergründig schöne Geschichte, aber auch eine, die sich für Rezensionen im Grunde nicht eignet. Denn tritt man ein Stück zurück, steigt man aus, aus dem Buch, sieht man ein Modethema und die Sehnsüchte eines Protagonisten nach Verstehen und Liebe, die man stellenweise als unangenehm kitschig empfinden kann. Coelho-Weisheiten wie «Wer liebt, vergisst nicht» und Marketingphrasen wie «Die Geschichte einer verratenen Liebe, die eine letzte Chance erhält» schüren die Angst, sich beim Lesen durchs Schweizer Cornwall einer Rosamunde-Pilcher-Welt quälen zu müssen. Es sei deshalb geraten, Urs Augstburger auf seinem Weg zu folgen, den Produktionsprozess im Rezeptionsprozess umgekehrt zu spiegeln – sich dieser erfundenen Welt also einfach hinzugeben. Und sie danach zu vergessen. Wenn einem dann nach Tagen Bilder einer tanzenden, glücklichen, alten Frau in den Sinn kommen, kann man sie nämlich einfach geniessen.
Urs Augstburger: Als der Regen kam. Stuttgart: Klett-Cotta, 2012.