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Zurück in die Zukunft des Kletterns

Michael Kropac / Daniel Silbernagel: Jura keepwild! climbs. Basel: Topo, 2011.

Zurück in die Zukunft des Kletterns

Städte sind doch Malen nach Zahlen. Kein freier Raum, alles vordefiniert. Für viele ist das  eine Form von Geborgenheit, für andere von uns das Gefängnis. Schon immer war Bergsteigen auch eine Flucht. Dorthin, wo es keine Regeln mehr gibt, wo einem nur die eigenen Fähigkeiten bleiben, der Wagemut – und das Talent, am Leben zu bleiben. Aber das war nicht immer so. Die Leute flohen auch schon vor der erdrückenden Kirchenmoral, vor autoritären Vätern oder in den 1980ern vor einer zubetonierten Gesellschaft, in der kein Platz für Jugend war. Nicht alle gingen damals auf die Strasse. Einige stiegen in die Felsen, wo sie – abseits aller Pfade – die Alpen in ihrem eigenen Stil ausmassen. Nicht aus SAC-Hütten brachen sie auf, sondern aus besetzten Häusern. In ihrer neonfarbigen, enganliegenden Kleidung, die schon optisch Distanz schuf zum rotbestrumpften Alpen-Establishment, sahen sie aus wie Akrobaten. Und das waren sie auch. Es war die Pionierzeit der modernen Sportkletterei.

Auf Gipfel pfiffen sie. Berge besteigen galt nichts in ihrer Welt. Es ging um die Routen an sich. Die gemeisterten Schwierigkeitsgrade schnellten empor wie nie zuvor in der Klettergeschichte. Was jahrelang als extrem gegolten hatte, war nun Einstiegsritual in die Szene. «Motörhead» heissen ihre Klassiker, nicht «Blüemlisalp». Verschont blieben sie trotzdem nicht: auch sie sind von der Gesellschaft eingeholt worden, von den Hausmeistern und ihren Regeln, den Medien, den Geschäftemachern und ihren Konsumenten. 30 Jahre und viele tausend Bohrhaken später ist der Stein mancher Kletterroute so blankpoliert wie die Treppenstufen des Schiefen Turms von Pisa, und legendäre Wände sind – zum Entsetzen vieler – mit neuen Sicherungen dermassen entschärft, dass von den riskanten Adrenalinkunstwerken der Erschliesser kaum noch etwas übriggeblieben ist. Auch die Debatte über den Umgang mit den paar Krümeln Wildnis in der Schweiz hatte sie nun eingeholt. Zugänglichkeitswahn vs. Grenzerfahrung.

Nun könnte man meinen, dass die Kletterer eine Nische in der Nische darstellen, dass der Schweizer Teil der Alpen, die am intensivsten genutzte Bergregion der Welt, wahrlich grössere Probleme kennt als ein Zuviel an Felshäkchen: Höhen-Eventitis, Heli-Skiing, die Flutung von Hochebenen etc. Zumal auch bei uns die ungezähmte Wildnis findet, wer Prestigeträchtiges meidet, die spannenden 3000er den populären 4000ern vorzieht und sich an Klettergebiete hält, die mindestens zwei Stunden vom nächsten Parkplatz entfernt liegen. Auch heute noch ist der Mainstream beruhigend phantasielos und faul. Weshalb sich dann mit dieser Randnotiz der Berggeschichte aufhalten? Weil die Felskletterer schon immer Vordenker des Alpinismus waren. Nirgends kommt man sich selbst und dem Berg näher. Physisch wie psychisch. Bereits wenige Meter nachdem man sicheren Boden unter den Füssen verloren hat, macht man sich keine Gedanken mehr über die eigene Moral, man erlebt sie. Fast alle einflussreichen Bergsteiger stammen aus der experimentell-zersplitterten Kletterszene, sie ist ein Labor für kommende Entwicklungen am Berg. Es lohnt sich also, auch ein Auge auf den neuesten Sturm im Wassergläschen zu werfen. Der da wäre: «Jura keepwild! climbs». Ein sachlich zurückhaltender Kletterführer in die Kunst ohne Bohrhaken und fix eingerichtete Hilfsmittel. Der Kletterer setzt seine Sicherungen selbst – und nimmt sie auch wieder mit. Breitensport, adieu. Gefühlte Erstbegehungen bei jedem Mal. «Clean Climbing» heisst diese als elitär verschriene Herausforderung, die zurzeit viel Magnesia aufwirbelt in den Kletterhallen und Blogs. Ohne aufdringlich zu propagieren, beschreiben Michael Kropac und Daniel Silbernagel das erforderliche Material und geeignete Anfängerrouten im nahegelegenen Jura. Einfach und klar, der Rest liegt an uns. Ihre Wände lassen sich nicht entlang eingebohrter Haken konsumieren. Jeder Kletterer muss den Fels neu lesen, seinen eigenen Weg nach oben finden. Wo immer er die Spitze seines Kletterfinkens hinsetzt, er betritt, zumindest für sich, Terra incognita, den weissen, nicht vorgezeichneten Raum. Die wahren Lektionen dieses dünnen Büchleins finden sich nicht auf seinen Seiten, sondern in jeder Felsritze einer jeden Route, die in diesem Geist erklommen wird. Darüber kann man viel nachdenken und debattieren. Oder es erleben. Der Einstiegsführer dafür liegt nun vor. Dies ist eine Empfehlung.

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