Silvio Blatter:
«Vier Tage im August»
Paul Fontana und seine Iris haben Glück gehabt. Der Unfall, der ihre Autofahrt erheblich verzögert, hat sie verschont. Wann geht es weiter? Paul drängelt zur Unfallstelle. Schlimm sieht es aus. Am Rande der Schaulustigen steht ein bulliger Mann, Leo Zimny. Paul bemerkt ihn nicht, aber Leo erkennt Paul. Und schon nimmt das Unheil seinen Lauf: «Die Vergangenheit, in die Paul Fontana gehörte, hatte Leo versiegelt, und nun war das Siegel gebrochen.» Paul und Iris schaffen es an diesem Tag nur bis Genua – die Reise war anders geplant, aber schlimm ist das nicht. Richtig schlimm wird es erst am zweiten Tag. Paul wird niedergeschlagen und schwer verletzt, Iris wird ausgeraubt, das Auto ist weg. Und in Zürich, unten am See, wo Pauls Freund Ivo wohnt, liegen drei Hunde in ihrem Blut, das Büro ist verwüstet, und um ein Haar hätte Ivo auch noch auf seinen Sohn Tom geschossen. Alles gerät aus der Spur. Weil «früher» nicht dasselbe ist wie «vergangen».
Mit einem wunderbaren Sinn für Timing entfaltet Silvio Blatter eine längst vergangene Geschichte, in der es um eine tiefe Demütigung und um die grosse Liebe geht. Sie zeigt auch, dass das Böse nicht nur das Böse ist und das Gute nicht nur das Gute. Man wird dabei bestens unterhalten. Und zum Nachdenken gebracht. Es handelt sich, wenn auch nur auf den ersten Blick, um einen veritablen Krimi. Einen packenden mithin, aber auch viel mehr: Silvio Blatter hat einen kritischen, die Psyche der Akteure grandios ausleuchtenden Gesellschaftsroman geschrieben, der präzise und schonungslos enthüllt, dass es unter der sogenannten Wirklichkeit gehörig brodelt. Man verrät über den Ausgang noch nichts, wenn man hier feststellt, dass die auf vier Sommertage verteilte Geschichte raffiniert gebaut ist – der Erzähler behält stets alle Fäden in der Hand, und jeder scheinbare Umweg erweist sich am Ende als notwendig für das Ganze. Die Sprache ist dabei ganz von heute – knappe, prägnante Dialoge, abreissende Sätze und auch aus nur zwei Worten bestehende Impressionen, die wie Regieanweisungen klingen und die Szenerie beleuchten. Die Nähe zum Film ist unübersehbar. Silvio Blatter kann schreiben, das weiss man. Wie gut er das kann, beweist er hier einmal mehr. Sehr zu empfehlen.
Silvio Blatter: «Vier Tage im August». Roman. München: Langen-Müller, 2013.