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Brief aus der Romandie (sept)

War es in Morges auch noch sommerlich warm, so läutet das grosse Festival «Le livre sur les quais» doch unwiderruflich den Bücherherbst ein. Aus der Menge der Neuerscheinungen ragen drei Werke heraus, die sich einer historischen Figur mit tragischem Schicksal widmen: Ghislaine Dunant stellt in ihrem 600seitigen Wälzer «Charlotte Delbo. La vie retrouvée» (Grasset) die […]

War es in Morges auch noch sommerlich warm, so läutet das grosse Festival «Le livre sur les quais» doch unwiderruflich den Bücherherbst ein. Aus der Menge der Neuerscheinungen ragen drei Werke heraus, die sich einer historischen Figur mit tragischem Schicksal widmen: Ghislaine Dunant stellt in ihrem 600seitigen Wälzer «Charlotte Delbo. La vie retrouvée» (Grasset) die französische Autorin Charlotte Delbo (1913–1985) vor. Die Assistentin des Regisseurs Louis Jouvet war zusammen mit ihrem Mann, dem Kommunisten Georges Dudach, in der französischen Résistance tätig. Das Paar wurde verhaftet und Dudach gefoltert und hingerichtet. Charlotte Delbo überlebte die Deportation nach Auschwitz-Birkenau und nach Ravensbrück. Sie schrieb kurz nach dem Krieg das Buch «Aucun de nous ne reviendra», das erst zwanzig Jahre später erscheinen sollte.

Weniger voluminös, aber nicht weniger eindrücklich ist Michel Layaz’ «Louis Soutter, probablement» (Zoé). Der Schweizer Maler und Geiger Louis Soutter (1871–1942) kannte einen flüchtigen Moment der Anerkennung, als er in Colorado Springs Leiter der Kunsthochschule wurde. Doch nach der Rückkehr in die Schweiz wurde er unter Vormundschaft gestellt und schliesslich in ein Altersheim im jurassischen Ballaigues eingeliefert. Heute gilt er als einer der wichtigsten Vertreter der Art brut. Layaz zeichnet ein überzeugendes, gut dokumentiertes, aber auch freies Porträt des einsamen Künstlers.

Kunst, Wahnsinn, bittere Armut und überwältigender Nachruhm – wer denkt dabei nicht an Vincent van Gogh (1853–1890)? Der Zeichner und Autor Frédéric Pajak ist unerschrocken genug, den fünften Band seiner Serie Manifeste incertain «Vincent van Gogh. Une biographie» (Noir sur Blanc) zu nennen und die Nachzeichnung eines Selbstporträts des Niederländers aufs Cover zu setzen.

Ein fiktiver Comiczeichner spielt schliesslich eine wichtige Rolle in Elisa Shua Dusapins Roman «Hiver à Sokcho» (Zoé), der mit dem Walser-Preis ausgezeichnet wurde – ein vielversprechendes Debüt.


Ruth Gantert
ist Redaktionsleiterin des dreisprachigen Jahrbuchs der Schweizer Literaturen «Viceversa» und der Plattform www.viceversaliteratur.ch. Sie lebt in Zürich.


 

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