Daniel Mezger:
«Als ich einmal tot war und Martin L. Gore mich nicht besuchen kam»
Die Vorstellung, die der Schweizer Schriftsteller, Schauspieler, Musiker und Kolumnist dieser Zeitschrift Daniel Mezger genüsslich breitwalzt, ist so knapp und kurzweilig wie abgrundtief böse: Britney Spears bläst Dave Gahan einen. Und beide bekiffen sich dabei. Das ist die «Rahmenhandlung» dieses dramatischen Monologs, in dem sich der Sänger der Elektropop-Gruppe «Depeche Mode» um Kopf und Kragen redet. Oder findet das unwahrscheinliche Treffen bloss in Gahans Imagination statt? Während er mal wieder ins Gras beisst? Könnte ebenso gut sein. Klar ist bloss: der abgewrackte Rocker kriegt keinen hoch.
Macht auch eigentlich nichts, denn Gahan will ohnehin lieber reden, was er ähnlich einer zerkratzten Platte tut: «Wo war ich? – Ach ja, genau…» setzt er in seinem redundanten und widersprüchlichen Monolog immer wieder an. Gründlich kaputt scheint er, wohl als Folge seiner jahrzehntelangen Malträtierung seines Körpers, der den Geist allem besten Willen zum Trotz noch nicht aufgegeben hat. Denn zu schön wäre es doch gewesen, wie ein echter Rockstar nicht zu leben – sondern zu sterben. Das Ganze hat einen vermeintlich realen Hintergrund: Als Gahan vom anfänglichen Boygroup-Image von «Depeche Mode» loskommen wollte, sagte er sich: «Es ist Zeit, einen Jugendtraum zu verwirklichen: Rockstar werden und mir in einem Hotelzimmer eine Kugel in den Kopf jagen.» Doch dann kam Kurt Cobain. Seinerseits Frontmann von «Nirvana» und von derselben Idee beseelt, allerdings etwas schneller am Abzug. «Was für ein Arschloch! Das war mein Ding!», jammert Mezgers Gahan, dem fortan die Ideen fehlten. Bis endlich die zwei Minuten Totsein kamen.
Auch hier: realer Hintergrund. Am 28. Mai 1996 spritzte sich Gahan eine Überdosis und konnte nach kurzzeitigem klinischem Tod wiederbelebt werden. Seit diesem Tag holt Gahan medial aus der Episode heraus, was er kann. Auch während Britney Spears in Los Angeles sein Gehänge im Mund hat: «Ach Britney, das Sterben ist nicht schlimm. Es war ganz schön. Ich hätte nur nicht so viele Drogen nehmen sollen davor, dann hätte ich die Sache mehr geniessen können.» Seit Gahan tot war, hat er noch mehr Mühe, mit der Zeit Schritt zu halten. «Wo war ich? Ach ja, genau: Es ist 1996», phantasiert er immer wieder. Trotz seiner Aussetzer sieht er seinen Geisteszustand gelassen: «Das ist so, wenn man alle seine Ziele erreicht hat. Rockstar werden, Drogen nehmen, daran sterben. Da ist man nachher etwas orientierungslos.»
Zum Glück hat Gahan immer auch noch sein zweites Thema: Seine Dauerfehde mit dem Bandkollegen Martin L. Gore. Der Keyboarder von «Depeche Mode» – gemäss Mezgers Gahan ein Muttersöhnchen, Perversling und Kinderschänder – wollte den Frontmann nie Texte schreiben lassen. Stattdessen habe Gore allen Songs sein eigenes perverses Leben eingeschrieben. «Und wer muss den Scheiss singen? Ich!» Keine Vergleichsgrösse ist Gahan in seiner Abarbeitung am Rivalen zu krude: «Martin hat den Kleineren als ich.»
Am Ende lässt sie sein schlaffes Ding los. Ist ein bisschen beleidigt. Gahan denkt: «Ich hasse diese Popdinger, ich bin froh, dass ich nicht so geworden bin.» Sein Genre bringt er selber auf den Punkt: «Wo war ich? Genau: Verzweiflungsmonologe von verzweifelnden Rockstars.» In Daniel Mezgers Darbietung allerdings ironisch und brüllend komisch aufbereitet, und überdies unterfüttert mit offensichtlich profunden Kenntnissen der musikhistorischen Faktenlage. Nach der erfolgreichen und preisgekrönten Inszenierung desselben Stoffs auf der Theaterbühne kommen mit der Veröffentlichung des Bändchens auch die Leser in den Genuss von Mezgers genüsslich-gemeinem Zugriff auf den Frontmann einer der einflussreichsten Musikgruppen aller Zeiten.
Daniel Mezger: Als ich einmal tot war und Martin L. Gore mich nicht besuchen kam. Zürich: Salis, 2015.