Der lange Abschied
Stefanie Sourlier über ihre Nächte in Nachtzugbars.
Mit dem Nachtzug fahre ich ins österreichische Wels, aus nostalgischen Gründen, da die Nachtzüge ja bald ebenso der Vergangenheit angehören werden wie Kassettenrecorder oder Kaiserpanoramen. Im engen Abteil lese ich Chandlers «Der lange Abschied». Chandler ist der einzige Autor, dessen Kriminalromane man ohne weiteres fünfmal lesen kann. Schwerer ist es, dabei nüchtern zu bleiben. Philipp Marlowe ist zwar «kein Morgentrinker», das südkalifornische Klima ist ihm zu mild dafür, aber die Ausnahme bestätigt die Regel. Zu Beginn des Romans findet Marlowe Terry Lennox als Schnapsleiche in einem Rolls-Royce, naturgemäss kommen ein paar weitere richtige oder falsche Leichen hinzu, Lennox ist eine davon. Nüchtern ist er dem Detektiv suspekt: Lennox sei vielleicht «überhaupt noch nie wirklich betrunken gewesen», meint Marlowe und erklärt später auch den Unterschied zwischen einem normalen Trinker und einem Alkoholiker: Während erster unter Alkoholeinfluss gleich bleibe, sei der zweite wie jemand, den man nie zuvor getroffen habe. Aber auch diese Theorie wird am Schluss widerlegt.
Hinter einem braunen Vorhang im Zugabteil Lichtblitze, ein Kaiserpanorama vorbeiziehender Bilder und das sich im Sekundentakt wiederholende synkopische Rattern der Gleise unter den Schienen. Auch der Schriftsteller Roger Wade im «langen Abschied» ersäuft seine Schreibkrise buchstäblich im Alkohol oder er trinkt, um wieder schreiben zu können. Der Alkohol ist gleichzeitig Motor und Verhinderer der Kreativität. So hatte sich auch Chandler selbst in einer Schreibkrise tagelang betrunken, um unter extremem Zeitdruck ein Drehbuch fertigschreiben zu können, mit Hilfe von Krankenschwestern und Sekretärinnen, die ihm von Paramount zur Verfügung gestellt wurden.
Dieser Zug verfüge leider ausnahmsweise über keinen Speisewagen, heisst es in der Lautsprecherdurchsage, was für ein Jammer, wenn etwas eine Nacht mit drei bis fünf mutmasslich schnarchenden Mitmenschen in dieser Sardinenbüchse rechtfertigte, dann die Bar. Ganze Nächte habe ich in Nachtzugbars verbracht, habe den Kellnern zugeschaut, wie sie Bier zapften und Weinflaschen entkorkten, Mahlzeiten aus Plastikfolien auf Teller klatschten, habe mich mit wildfremden Leuten unterhalten, lebenslange Freundschaften geknüpft, die morgens am Zielbahnhof dann doch verworfen wurden, ganze Romane habe ich geschrieben, wenn auch meistens nur im Kopf.
Marlowe trinkt mit Terry Lennox den Gimlet in Victor’s Bar, wobei dieser erst falsch gemixt wird. Den richtigen Gimlet, allein aus Gin und Rose’s Lime Juice, muss Marlowe nach Lennox’ Verschwinden allein trinken. Oder mit der Schwester der Ermordeten. Die Frauen sind bei Chandler undurchsichtige und doppelgesichtige Wesen, oft ungleiche Schwestern, abgehobene und gefallene Mädchen, sie sitzen schön und unendlich cool allein an der Bar und trinken schlauerweise nur anderthalb Gimlets. Auch Lili habe ich im Nachtzug kennengelernt, auf der Fahrt nach Berlin, sie fuhr zurück, ich hin. Sie sass allein am Tresen. Gimlet gab es nicht, also tranken wir Rotwein bis tief in die Nacht.
Morgens um fünf komme ich an, der Schlaf war weich wie Watte, aber die Pritsche hart am Ohr. Ich steige aus, etwas zerknittert und noch müde, und denke, dass der Nachtzug schon eine tolle Erfindung war, auch ganz ohne Bar und Kater.
Gimlet
Der klassische Gimlet besteht nach Philipp Marlowe lediglich aus gleichen Teilen Gin und Rose’s Lime Juice Cordial. Etwas weniger süss wird der Cocktail, wenn ein Teil Rose’s Lime Juice durch frischen Limettensaft ersetzt wird.
5 cl Gin
3 cl Rose’s Lime Juice Cordial
2 cl frischer Limettensaft
Im Mixglas auf Eiswürfeln gut verrühren und ins vorgekühlte Cocktailglas abseihen. Mit Limettenscheibe oder Zeste dekorieren.