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«Deutsch für Ausländer»

Der Graben und ich # 2

 

Von einem deutsch-rätoromanischen Graben kann man heute nicht mehr sprechen. Wir sind mittlerweile alle bilingue, selbst in den Familien wird oft beides gesprochen. Auch viele Alemannen, die hier leben, lernen früher oder später Rumantsch. Und wurden «Unterländer» einst ausgelacht, wenn Aussprache oder Grammatik nicht stimmten, ist man heute eher stolz, dass jemand unser Idiom lernen will, und hilft. Wenn es noch Vorbehalte gibt, dann eher gegen «Investoren», die, von den Baukommissionen unterstützt, unsere Landschaft mit geschmackloser Architektur zustellen.

Als ich Kind war, lernte ich wirklich erst in der Schule Deutsch – unser Lehrbuch hiess «Deutsch für Ausländer», und alle Szenen darin spielten in Berlin. Schon speziell. Zwar findet der Primarunterricht hier auch heute noch auf Surselvisch statt, doch den Kindern ist das Deutsche bereits von der Strasse, aus Radio und Fernsehen vertraut, bevor sie es «offiziell» lernen.

Warum ich auf Rätoromanisch schreibe? Es ist meine Muttersprache, im Deutschen geht mir das Gefühl für die Nuancen ab. Und ich schreibe schon auch, um etwas für das Romanische zu tun. Solange Leute in einer Sprache schreiben, können andere sie lesen, das trägt dazu bei, dass die Sprache lebt. An deutschsprachiger Literatur mangelt es nicht, im Romanischen kann ich echte Forschungsarbeit leisten. Ich arbeite oft experimentell, versuche etwa, Fragmente aus der Weltliteratur einzubauen: Funktioniert dieses oder jenes überhaupt im Romanischen? Und wenn es wieder übersetzt wird – funktioniert es dann immer noch? Solche Fragen interessieren mich.

Dass es in einer überschaubaren Gegend wie Graubünden drei Sprachen und innerhalb der kleinsten Sprache nochmals fünf vollwertige Schriftsprachen gibt – mit Grammatik, mit Wörterbüchern –, fasziniert mich ungebrochen. Klar, sind diese Minisprachen vom Aussterben bedroht, bei Sutsilvan und Puter dauert es vielleicht nicht mehr lang. Aber das ist der Lauf der Dinge, siehe die einstige Weltsprache Latein. Die Idee, das Romanische durch Vereinheitlichung von oben herab zu «retten», konnte in einer Republik nur schiefgehen. Wir brauchen kein Rumantsch Grischun, wir brauchen Nachwuchs: Kinder, die Romanisch sprechen, ob Vallader, Surselvisch oder Surmeirisch. Wenn wir wollen, verstehen wir einander – und sonst sprechen wir eben Deutsch.

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